„Wir sind keine Sklaven“

■ Die Bewohner der Unterkunft in der Peenemünder Straße wollen nicht aufs Wohnschiff für Asylbewerber

Gestern vormittag sollten nach Planung der Sozialbehörde 80 Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Peenemünder Straße auf das Schiff „Embrica Marcel“ im Kohlenhafen umziehen. Doch sie wollten nicht. „We don't go to the ship“ schrieben sie auf ein Plakat, das sie an den Zaun vor ihren Unterkünften hängten. Auf einem anderen Transparent stand: „I'm not a slave“. Als der Bus kam, der die Männer zum Schiff fahren sollte, stellte sich eine kleine Gruppe vor die Kühlerhaube. Der Bus fuhr bald darauf unverrichteter Dinge wieder davon.

„Ein Schiff ist zum Reisen da oder für den Transport von Gütern, aber nicht zum Wohnen“, sagen die Flüchtlinge. Außerdem könnten viele von ihnen nicht schwimmen. Vor allem aber befürchten sie Angriffe von Skinheads. In der Peenemünder Straße könne man sich besser verteidigen, so ein Bewohner.

„Ich wohne schon drei Jahre hier, habe hier Freunde und lebe gerne hier. Ich verstehe nicht, warum ich ausziehen soll“, so ein Asylsuchender gestern. Einer der schwerwiegendsten Gründe ist, daß die Bewohner auf dem Schiff Vollverpflegung bekommen. „Wir wollen unser eigenes Essen kochen, wir wollen so selbständig bleiben, wie wir es hier sind.“

Anstelle der normalen Sozialhilfe erhalten die Schiffsbewohner nur noch ein Taschengeld. Die Unterstützergruppen schätzen, daß dies nur noch rund 80 Mark sein werden — davon könne man keine Anwaltkosten bezahlen.

Besonders umstritten in der Umzugsaufforderung, die die Männer erst vor vier Tagen erhielten, ist die Formulierung, daß die Bewohner „außer ihrem normalen Gepäck keine Möbel oder ähnliches mitnehmen“ könnten. Die Betroffenen haben darunter verstanden, daß sie weder Cassettenrecorder noch Fernseher mitnehmen dürfen, und sind empört.

Diese Empörung bekam gestern auch der zuständige Sozialbehördenmitarbeiter Erhard Heintze zu spüren, als etwa 50 Betroffene und UnterstützerInnen ihn auf der Behörde besuchten. Als er erklärte, daß sie sehr wohl einen Fernseher auf das Schiff mitbringen könnten, schrien die Flüchtlinge ihm entgegen, er würde lügen. Als Heintze die Behauptung, das Schiff sei ein Gefängnis, zurückwies, brach ein tumultartiges Durcheinander aus.

Heintze unterstellte den Unterstützergruppen, daß sie bewußt oder aus Unkenntnis auf dem Flugblatt falsche Informationen verbreitet hätten. Auch eine Mitarbeiterin des ASB war der Meinung, daß der Protest von den „Autonomen“ initiiert worden war. Nach Aussage eines Mitglieds des Antirassismusplenums Gröpelingen jedoch sollen die Flüchtlinge selbst das Plenum um Unterstützung gebeten haben.

Die Sozialbehörde ist der Meinung, daß die Flüchtlinge den Umzug nicht verweigern dürften. „Sie sind in die Bundesrepublik gekommen, um Schutz vor Verfolgung zu suchen. Den Ort, wo Sie sich aufhalten, können Sie sich nicht aussuchen“, sagte Heintze. Er will die Verweigerung des Umzugs nicht akzeptieren. Claus Gehlhaar, Landesvorsitzender des ASB, sieht die Sachlage anders. Er hat gemeinsam mit der Sozialbehörde die Umzugsaktion abgebrochen.

Doch im Gegensatz zu Heintze findet er die Gründe der Umzugsverweigerung nachvollziehbar. „Wir machen hier nichts gegen den Willen der Flüchtlinge“, erklärt er. Heintze will trotz allem weiter mit den Betroffenen diskutieren. Vivianne Agena