Magic Mushrooms in der Sicherheitszone

Splatterböses in Berlins Comicwelt – Happy Clown Chester Brown und Space Bastards Seyfried & Ziska  ■ Von Harald Fricke

Links blieben Widersprüche niemals rätselhaft, waren sie erst einmal in Comicform aufgehoben, so wie etwa Gerhard Seyfried in Studentenzeitungen die Arbeiterrevolution an der Apo-theke enden ließ. Andererseits träumen auch Linke mittlerweile nicht mehr nur von Bauernfängern, Zitronenfaltern oder Mauerblümchen. Die gebräuchlichen Zeichen ähneln heute mehr dem Splattertum als irgendwelchen Kifferbildern: Im neuen Seyfried spritzt Hirnmasse an die WG-Tapete und Chester Brown zeigt detailliert eine Kastration auf dem Operationstisch. Manches davon gefällt selbst der Industrie. Statt die Metzel-Szenarios mit einem dick aufgedrückten „X-rated“ zu bannen, werden Comics wie „Taft und Harper“ im Großverlag und nicht etwa von Fanzines herausgebracht und für „Gossen Abenteuer Comics“ zeichnet neuerdings Carlsen als Verleger verantwortlich.

Es ist eine merkwürdige Situation, aber der Untergrund rennt bei der Industrie mit jeder Provokation offene Türen ein, fast wie auf MTV.

Nun gibt es in Berlin außer dem wackeren Rotbuch-Verlag und dem Einmannbetrieb von Martin Barber mit seinen C.R.U.N.C.H.- Auflagen allerdings noch Jochen, der ziemlich basisnah Comics vertreibt, über die sich selbst links die Geister scheiden. Denn Jochen mag, wenn man sich streitet.

Neben Phils „Stups & Krümel“ und Toms „Witzbildchen“ hat er das Gruselalphabet von LGX-Lilian Mousli herausgebracht, zu dem Wiglaf Droste ein wütendes Nachwort gegen Zensur, taz-LeserInnenbriefe und Linksfaschismus, so wie er ihn empfindet, geschrieben hat. Die deutsche Ausgabe von Chester Browns skurriler Kurzgeschichtensammlung „Ed The Happy Clown“ schlägt hingegen in eine ganz andere Kerbe: Radikalfeministinnen werden den operativ abgetrennten Schwanz mit dem Konterfei von Ronald Reagan als symbolischen Sieg werten können, Fäkal-Fans kommen dabei jedoch ebenso wie Vampyristen oder Transzendental-Freaks auf ihre Kosten. In der Schmuddelwelt des Kleinen ist für jede Minderheit Platz.

Zunächst lediglich als Fotokopien im Bauchladen auf der Straße verkauft, nahm das bizarre Zeichenkonvolut von Chester Brown im amerikanischen Underground der achtziger Jahre eine rasante Entwicklung: Obwohl die „Yummy Fur“-betitelte Serie eine Zwittergeburt aus krakeligen Realismusbildern und kargen Dialogen war, wurde das Buch 1990 mit dem Harvey Award ausgezeichnet. Im Gegensatz zu normalen Sex&Crime-Comics ist die Hauptfigur Ed weder happy noch ein Superheld vom Kaliber heutiger Streetfighter. Sogar der zum Penis mutierte, seelenwandelnde Reagan flucht auf einem der Bilder: Wie bin ich nur an solch einen Verlierer geraten?

Für Chester Brown spielt Einfühlung jedoch nur eine nebensächliche Rolle, vielmehr verursacht das gewöhnliche Leben den katastrophischen Wahnsinn. Ein Mann sitzt auf der Toilette und kann nicht mehr aufhören zu scheißen – das ist schlimm. Also überflutet sein Kot in der Folge ganze Gefängniszellen und ruiniert fast das gesamte Straßennetz von Washington, bis Wissenschaftler endlich eine Lösung für den unentwegt fließenden Durchfall finden. Irgendwo auf dem Land ist ein schwarzes Loch entdeckt worden, das in eine andere Dimension führt, eine Klärgrube ins Nichts. Doch bei der Einweihung passiert ein Unglück: Der Präsident der Vereinigten Staaten fällt in den Scheißbottich, sein Kopf wird im Dimensionssprung abgetrennt und am Ende findet er sich als genitales Anhängsel ausgerechnet am Schwanz von Ed wieder. Das hat was von Lacan und auch von Carlos Castaneda.

Dem hinterhältig kompakten Wirrwarr entsprechend wird Chester Brown vor allen Dingen von Leuten gekauft, die mehr auf abgedrehte Musik und Filme stehen, und sich nur am Rande für Comics interessieren. Selbst die sakralen Textpassagen, in denen der Penis- Komplott in Erlösungsmotive umschlägt, sind dabei trotzdem nicht nach Seminarkenntnissen strukturiert, sondern eben mehr vom Kino und der gängigen Popkultur geprägt, die Zusammenhänge sind fließend. Noch die gnostischen Untertöne bei Präsidentenmord, Alienterror und Schwulenhatz sind mehr eine Frage der richtigen Drogen. Brown kifft, guckt Fernsehen, beobachtet Leute und faßt den ganzen lebensweltlichen Schlamassel im absurdesten Moment zusammen. Auf gar keinen Fall versucht er sich der Kunstschiene anzuschließen, wo noch die frotzelige Splattermaus von Mattioli und der endzeitliche Eklektizismus eines Ted McKeever wie für ältere Herren mit ausgefallenen ästhetischen Vorlieben gemacht scheinen. All das stört auch Jochen, weil es sich so entsetzlich weit vom ursprünglichen Wegwerf-Comic entfernt hat: „Die Jugend liest dagegen nur noch Robotech, da entsteht eine Lücke, in die Chester paßt – für die unentwegte Pubertät.“

Auch Seyfried rechnet heute konsequenter als Grüne, Bündnis 90 und AL mit überbrachten Hippie-Mythen ab: Von seinen gezeichneten Alt-Freaks aus dem Kreuzberger Aktivistensumpf hat keiner die „Flucht aus Berlin“ überlebt. Seit zwei Comic-Bänden bevölkern an ihrer Stelle spindeldürre Psychopärchen und Nintendo-Mondgesichter die Szene in SO 999. Nichts ist mehr wie früher. „Space Bastards“, der zweite Teil des vor zwei Jahren eher gefloppten Virtualitäts-Epos „Future Subjunkies“ spielt nicht mehr auf der Straße und im Kiez um die Ecke, wo in den siebziger Jahren einmal das lachende Vollbart-Anarchistenmännchen und der kartoffelgesichtige KOB ihr Unwesen trieben: „Pop! Stolizei! Äh: Stei! Polizop! Nein, öh: Stop Poliz...Weg isser..!?

Das Katz-und-Maus-Spiel mit der Obrigkeit hat sich im privaten Gerangel verflüchtigt. Wenn das hedonistische Punkerpaar, das Seyfried gemeinsam mit der gerade mal 20jährigen Zeichnerin Ziska erfunden hat, den Alltagswahnsinn erleben will, schmeißt es Sexpillen, Aggressionserzeuger oder 3D-TV ein. Die Weltverschwörung spielt sich dagegen im Cyberspace, im tiefen Tal der Micki Mäuse, Aliens und Moebiusschleifen ab. Dabei wird man den Eindruck nicht los, Seyfried habe damals seine legendären APO-Witzbildchen fernab der künstlerischen Comicwelt gezeichnet, die er nun im nachhinein gleich doppelt und dreifach einlöst. Die futuristische Stadtarchitektur paßt in die Geografie der „Schwermetall“-Bildbände, die Stimmung erinnert an das Zukunftsreich aus Blade Runner und Terminator, den Stoff für seine Handlung entnimmt er nicht mehr dem Leben unter schrulligen Randgestalten, sondern aus Zitaten zu ornamental verschlungenen Fantasies von der Apokalypse. Schon in „Future Subjunkies“ landeten die schlaksigen Szene-Helden via Datenanzug zwischen lauter abgewrackten Zippys, Batmännern und Wunderwarzenschweinen in einer Zombie- Kneipe, und auf dem rückwärtigen Klappenblatt zu „Space Bastards“ endet nun auch noch ein Großteil der hiesigen zeitgenössischen Comiczeichner auf einem Friedhof am Arsch der Welt. Ein simples Soldatengrab ziert dort die letzte Ruhestätte von Fickelscherer, am hölzernen Kreuz baumelt ein einsamer NVA-Helm.

Es ist aber nicht alles Zynismus, was da in Hochglanz vor sich hin krepiert. Auf einem militärischen Übungsgelände wachsen plötzlich magic mushrooms in der Sicherheitszone und die mexikanischen Pilze vollführen als Guerilleros verkleidet ein lustiges Wunderland- Ballett. Doch im Gegensatz zum altvorderen Haschrebellentum ist der Drogenkonsum in der imaginären Techno-City staatsverordnet, kapitalisiert und überhaupt viel härter geworden. Nur eine Zuflucht bleibt am Ende bei Seyfried offen – der Dachboden mit den Erinnerungen. Hier sieht es aus wie bei Tetsche in Kalau, die Bücherregale sind mit Nonsens vollgestopft, und auf dem Boden steht ein Bilderahmen mit dem Portrait eines Bullen aus der guten alten Zeit. Wahrscheinlich hat Seyfried ihn mit den Jahren liebgewonnen.

Chester Brown: Ed The Happy Clown, Jochen Enterprises, 29,80 DM

Gerhard Seyfried & Ziska: Space Bastards, Rotbuch-Verlag, 19,80 DM.