Zum Gruseln

■ betr.: "Schwule im Stadtpark mit Nachtsichtgerät gejagt", taz vom 31.7.93

betr.: „Schwule im Stadtpark mit Nachtsichtgerät gejagt“,

taz vom 31.7.93

Die Schwulen lieben die Opferrolle, eine lange Tradition der Verfolgung und Diskriminierung hat sie zur zweiten Natur werden lassen. Um so erfreulicher wird – in Zeiten windelweicher Sympathien für Schwule als Heiratswillige und bedauernswerter Betrachtung als Aids-Opfer – von Schwulen selbst die Existenz rechtsradikaler Schläger begrüßt. Die Bedrohung hat wieder einen Namen. Jeder Vorfall wird aufgeplustert und zum Menetekel an der Wand. Besser drückt sich die schwule Paranoia nicht aus als in dem Zitat des BVH-Sprechers Nehm im oben genannten Artikel: „Die schwule Identität gerät mehr und mehr ins Visier der Rechten.“ Daß damit die wirkliche Gefahr von rechtsaußen und ihre tatsächlichen Opfer nur beliebig relativiert werden, ist ein Dilemma dieser leichtfertigen Argumentation.

Wunderbar Hand in Hand mit diesen schwulen Ängsten arbeiten die Medien. Auch sie lieben die Schwulen, vor allem als Opfer. Das ist eine Story. Da kann sich das mitleidvolle Hetero-Gewissen auf die Schulter klopfen für soviel Anteilnahme am Schicksal dieser armen, armen Menschen.

Wie verheerend sich diese Koalition aus schwulen Angsthasen und aufrechten Journalisten darstellt, zeigt der Artikel des AFP- Autors Petzold, den die taz ungeprüft nachdruckt, selbst wenn er der eigenen Berichterstattung zu einem im Text genannten Vorfall widerspricht. Da ist von der Bedrohung der CSD-Feier in der Wuhlheide durch Neonazis die Rede, abenteuerlich ausgemalt mit „durch die Büsche“ streifenden Schlägerbanden, ausgerüstet mit „Walkie-Talkies und Nachtsichtgeräten“.

Daß hierbei lediglich ein bankrotter Veranstalter die CSD-Party mangels auftrittsbereiter Künstler abgebrochen hat mit falschem Hinweis auf die rechte Gefahr, war bislang Konsens in der Berichterstattung zu diesem Vorfall, auch in der taz. Nur liest sich diese Geschichte viel weniger spannend und auch die taz greift gerne zurück auf die Neonazi-Variante. Damit die Medien-Wirklichkeit wiederhergestellt ist und die Schwulen sich wieder ordentlich gruseln können. Denn nur ein verfolgter, unterdrückter Schwuler ist ein guter Schwuler, für die Medien und für die „schwule Identität“. Elmar Kraushaar