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Der Existenzkampf der „Schönsten“

Moderner Fünfkampf hat eine sechste Disziplin: das Überleben im olympischen Haus und auf der Mattscheibe / Heute beginnen in Darmstadt die Weltmeisterschaften  ■ Von Cornelia Heim

Berlin (taz) – Preisfrage: Was eint Pierre Baron de Courbertin, Vater der Olympischen Spiele der Neuzeit, und Juan Antonio Samaranch, Schöpfer der in jeder Hinsicht „offenen Spiele“? 100 Punkte. Nicht viel. Ein Beispiel gefällig? Moderner Fünfkampf bietet sich an. Da stehen Weltmeisterschaften ins Haus – hätten Sie's gewußt? Nee? – noch dazu in deutschen Landen, von heute bis Sonntag in Darmstadt. Die Sportart kämpft ums Überleben, auch wenn Weltverbandspräsident Klaus Schormann uns bereits die Auferstehung weismachen möchte.

Moderner Fünfkampf also. Ein schönes Beispiel: Denn Moderner Fünfkampf ist insofern nicht modern, als andere Sportarten in Mode sind, die sich vermarkten lassen. Nur, die Funktionäre wollen es nicht wahrhaben. Dabei sprechen die Fakten gegen den Fünfkampf, der trotz aller Anstrengungen, sich zu modernisieren, fürchten muß, beim Großreinemachen des Herrn Samaranch aus dem olympischen Hause und in die Altkleidersammlung zu fliegen. Wobei die Frauen noch nicht einmal die Tür nach drinnen aufstoßen konnten. Seit 1912 ist der Pentathlon olympisch – aber nicht fürs weibliche Geschlecht. Der Deutsche Verband will nun mit der Ausrichtung der WM den Göttern auf dem Olymp unter anderem demonstrieren, daß sowohl für Männlein und Weiblein Platz unter dem olympischen Dach sein könnte. Ob's gelingt, darf bezweifelt werden. Denn Surfen, Sportklettern, Triathlon, vom trendigen Zeitgeist beseelte Disziplinen drängen nach.

Aber von vorne: Pentathlon hat bessere Zeiten gesehen. Aristoteles schwärmte von den Fünfkämpfern als den „schönsten Leuten“. Sie hätten die „am besten durchgebildeten Körper“, da sie über Kraft, Schnelligkeit und Gewandtheit gleichermaßen verfügten. Der Wettkampf dieser schönsten aller Männer bestand in der Antike aus Diskus, Laufen, Weitsprung, Ringen und Speer. Seit Coubertin umfaßt die Vielseitigkeitsprüfung Fechten, Schwimmen, Schießen, Laufen und Reiten. Dies sei „beweiskräftiger“. Wer siege, tue sich als „wahrer, vollkommener Athlet“ hervor. Sagte der baroneske Olympier 1912.

81 Jahre später geistert das Bild vom perfekten Sportler, der idealerweise in der Ausübung seines Sports auch zum perfekten Menschen heranreife, nur noch durch wenige Köpfe. So durch denselben des Herrn Schormann: „Wir sind eine Elite. Man braucht einen starken Charakter, um diesen Sport mit dem Alltag vereinbaren zu können.“ Samaranch hält von derart hehren Idealen nicht viel. Der Katalane, dessen Tugendkanon geldwerter Art ist, fragt nach Kosten und Nutzen. Und da fällt die Antwort von Ex-Sportwart Peter Kroner ehrlicher aus: „Eine Orchideen-Sportart.“ Warum sich das zarte Pflänzchen zur Aufzucht en gros nicht eignet? Zum einen das komplizierte Regelwerk.

Das Publikum bleibt zu Hause. Und erst recht fehlen die Massen vor dem Bildschirm. Michael de Vries, bis vor kurzem Bundestrainer: „Wir sind einfach nicht medienwirksam.“ Fehlanzeige folglich auch bei den Sponsoren. Im Zeitalter der Mediakratie entscheidet aber sportliche Telegenität über Sein oder Nichtsein eines Sports. Und im deutschen Fernsehen heißt Sport Tennis (2.738 Stunden), Fußball (2.210) und Motorsport (1.460 Stunden), gefolgt von Boxen, Golf und Eishockey (700).

Wie einen großen Triumph feiern die Veranstalter, daß das Deutsche Sportfernsehen an den drei WM-Wettkampftagen jeweils zwei Stunden dem Modernen Fünfkampf widme. Moderner Fünfkampf taucht aber in der Statistik von TV-Übertragungszeiten nicht auf. Und dennoch: Der Verband müht sich um Anpassung, beugt sich dem Diktat der Programmdirektoren. Klaus Schormann: „Wir haben Jahre gekämpft, telegener zu werden.“ Die Teilnehmerzahl wurde reduziert (auf maximal 32 Einzelstarter), das Zeitbudget gekürzt: Anno dazumal absolvierten die Mehrkämpfer ihre fünf Disziplinen an fünf Tagen, dann waren's nur noch vier, dann drei und jetzt erstmals bei einer WM einer. „Super-Five“ heißt der Knicks, den die Funktionäre vor IOC-Präsident Samaranch, der die Fünfkämpfer schon mangels Attraktivität vor die Tür der olympischen Familie setzen wollte, machen. Kommentar Schormann: „Eine olympische Sportart kann nur überleben, wenn sie gemanagt wird wie eine Automarke.“

Unternehmer-Präsident Schormann, CDU-Mann und im Hauptberuf in einem Ministerium in Wiesbaden zugange, will ein „neues System“ etabliert haben. Dazu gehört, daß der sportlichen Auseinandersetzung bei der WM in Darmstadt ein Symposium über Marketing und Werbung voranging. Und daß Juan Antonio Samaranch junior die Marketing- Tagung leitete. Präsident Schormann: „Ein genialer Schachzug.“

Neues System? Was das noch heißt? Preisgelder bei Weltcups – wenngleich nicht denen von Tennis und Fußball ebenbürtig. Aber immerhin, den 1,3 Millionen Mark-Etat für die WM decken mehrheitlich Sponsoren. Und immerhin fällt Gesundbeter Schormann auch ein moderner Fünfkämpfer ein, der von seinem Sport leben kann – Peter Steinmann, ein Schweizer.

Ein neues System? Aushängeschilder, die ohnehin nur einem Häufchen eingeweihter Fans geläufig waren, hören auf: Pawel Olszewski, Uli Czermak, Nico Motchebon, dessen verbitterten Abschied Schormann noch als PR- Vorteil für die Mehrkämpfer umdeutet: „Wir wurden bei jedem 800-m-Lauf mitgenannt.“ Bundestrainer Michael de Vries tauscht seinen Job als Honorartrainer mit dem besser dotierten eines Sportdirektors beim Deutschen Hockeybund, sein Posten ist noch vakant.

Ein neues System? Eher ist es die Suche nach dem Spektakulum, wobei die „schönsten Leute“ ganz schön ins Schwitzen geraten dürften, werden ihnen binnen zwölf Stunden doch fünf völlig verschiedene sportmotorische Fertigkeiten abverlangt.

Neues System oder, ehrlicher, Ausverkauf? Der beredte Präsident wehrt ab. Solange man sich nicht selbst verrate, könne von einem Aufsaugen durch die Wirtschaft nicht die Rede sein. Wann Judas denn sein zerstörerisches Werk beginne? Klaus Schormann: „Wenn man unsere Pferde durch Mountainbikes ersetzen würde.“

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