Antwort auch bei anderen Zeitgenossen suchen

■ betr.: "Kultur als Terain neuer Weltkonflikte", taz vom 31.7.93

betr.: „Kultur als Terrain neuer Weltkonflikte“, taz vom 31.7.93

Kants Vernunftprinzip allein wird sicher keine ausreichenden Antworten auf die Fragen des ausgehenden 20. und des bevorstehenden 21. Jahrhunderts geben. Ist es eigentlich richtig, Zusammenstößen zwischen europäischen und außereuropäischen Kulturen bzw. Zivilisationen einen so zentralen Stellenwert in der sich grundlegend verändernden innen- und internationalpolitischen Konfliktstruktur zuzuschreiben, wie das in der jüngsten Eurotaz geschieht?

Viel schwerer wiegt doch – und das in zunehmendem Maße – das neokolonialistische Vorherrschaftsverhältnis zwischen einer mächtigen Minderheit nordglobaler Industrieländer und deren „Brückenkopfstaaten“, wie etwa reiche Erdölländer im Nahen Osten oder die sogenannten „Vier Kleinen Tiger“ in Südostasien, einerseits und einer großen Mehrheit wirtschaftlich und sozial verelendeter südglobaler Länder andererseits. Aber dieses globale Vorherrschaftsverhältnis wird seinerseits immer prekärer. Eindrucksvoll zeigt dies zum Beispiel Robert Kurz in seinem Buch „Der Kollaps der Modernisierung“ (1991); unter Rückgriff auf die Marxsche Kapitalismusanalyse beschreibt und erklärt er unter anderem die „Krise der Weltökonomie“. In ihr tritt eine epochale Umbruchsituation in Erscheinung, die meines Erachtens mit derjenigen des Übergangs von der mittelalterlichen Agrar- zur neuzeitlichen beziehungsweise modernen Industriegesellschaft vergleichbar ist.

Warum also nicht Antworten auf die gegenwärtigen Probleme bei noch anderen Zeitgenossen der damaligen Umbruchsituation als nur Kant suchen? Zusätzlich zu dem Marx vor dem Kommunistischen Manifest (1848) wären daraufhin ganz sicher auch Pierre-Joseph Proudhon (1809 – 1865) und sein libertärsozialistischer Föderalismus als umfassendes wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Erneuerungskonzept zu befragen. Lutz Roemheld, Fröndenberg