Frauenförderung als Alibihandlung?

Nachdem 1989 die ersten Gleichberechtigungsgesetze die Quotierung festschrieben, ziehen nun die restlichen SPD-Länder nach / Auf Bundesebene gerät Gleichstellung zur Farce / Eine Analyse der neuesten Gesetzesentwürfe  ■ von Mechthild Jansen

Die Kämpfe der Frauen in den siebziger und achtziger Jahren – auch innerhalb der Instutitionen – führten Ende der 80er Jahre zu ersten Schritten einer frauenpolitischen Gesetzgebung. Heute erreichen uns deren letzte, freilich schon gebremste Auswirkungen. Solide Reformpolitik zur Verankerung erkämpfter Frauenrechte steht dabei einer regierungsamtlichen Alibihandlung gegenüber: Am 1. Juni diesen Jahres legte die realogrüne Waltraud Schoppe einen neuen Landesgesetzesentwurf zur Gleichberechtigung der Frau vor. Im Januar war ihr die inzwischen zurückgetretene, sozialdemokratische Heide Pfarr in Hessen vorausgegangen. Und noch Ende letzten Jahres hatte Bundesministerin Angela Merkel ihren Referentenentwurf für ein Bundesgleichberechtigungsgesetz vorgestellt. Vorläufer all dieser Gesetze zur Gleichstellung von Frauen im öffentlichen Dienst finden sich schon seit 1989 im Saarland, in Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen.

Vor allem das aus Nordrhein- Westfalen stammende Frauenförderungsgesetz vom 31.10.1989 war dabei in seiner inhaltlichen Zielsetzung wegweisend für alle noch folgenden Gleichstellungsgesetze. Nicht nur aufgrund der hier erstmals festgeschriebenen Quotierung schielen alle anderen Bundesländer bis heute auf dieses Gesetz, sondern auch, weil es bis heute rechtlich umstritten blieb. Mehrfach hatten Männer gegen Einstellungsentscheidungen geklagt, weil sie sich durch die Frauenquote benachteiligt fühlten. Eine endgültige Klärung durch das Bundesverfassungsgericht steht bis heute aus. Nachdem sich die Verfassungskommission jedoch auf eine Vorentscheidung bezüglich der Reform des Grundgesetzes einigen konnte, nach der der Staat die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung fördern“ und „auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirken“ soll, ist eine Billigung der vorsichtigen und fundierten NRW-Regelung zu erwarten.

Gleichstellungsreformen in Niedersachsen und Hessen

Die 50-Prozent-Quote ist im nordrhein-westfälischen Gesetz bahnbrechendes Ziel. Auch die beiden neuen Entwürfe für ein „Hessisches Gleichberechtigungsgesetz“ und ein niedersächsisches „Landesgleichberechtigungsgesetz“ folgen diesem Grundsatz zur Parität im Beruf. Neu ist bei ihnen, daß sie das Spektrum von Maßnahmen und Instrumenten zur Stärkung der Stellung der Frau im Beruf erweitern und präzisieren. Das betrifft insbesondere die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Qualifikationsbewertung und Arbeitsplatzgestaltung gemäß der sozialen Lage der Frau und den Schutz vor sexueller Diskriminierung. Unterschiede in den Entwürfen finden sich nur in Nuancen, in Hessen wird die Berufsrolle der Frau besonders gestärkt, Niedersachsen stellt die Mutterrolle besonders in Rechnung.

Beide Gesetzesentwürfe verfolgen vor allem drei Absichten. Zum einen soll die „gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern“ in allen Positionen und Berufen im öffentlichen Dienst verwirklicht werden. Der hessische Entwurf will konkret Arbeitsbedingungen verbessern, „typische“ Frauenarbeitsplätze aufwerten und „typische“ Männerarbeitsplätze für Frauen umgestalten. Niedersachsen verbietet explizit unmittelbare und mittelbare Diskriminierung.

Beide Gesetzesentwürfe wollen zweitens der systematischen Unterbewertung der Qualifikation von Frauen entgegentreten. So soll „durch Familien- oder soziale Arbeit erworbene Erfahrungen als Qualifikation“ berücksichtigt werden, wenn es für die jeweilige Stelle relevant ist. In Hessen sollen Dienst- und Lebensalter und die letzte Beförderung bei einer Einstellung nur dann eine Rolle spielen, wenn dies für die Aufgabenerfüllung tatsächlich notwendig ist.

Beide Entwürfe wollen drittens die „frauentypische“ Berufssituation stabilisieren und verbessern. Arbeitszeiten sollen flexibel gestaltet werden, Teilzeitarbeitsplätze sollen bis in die Spitzenpositionen hinein ausgebaut, geringfügige Beschäftigung und die Benachteiligung aufgrund von Teilzeitarbeit sollen verboten werden. In Hessen sollen Frauen nach einer Phase der Teilzeitarbeit einen Rückkehranspruch auf Vollzeitstellen haben. In Niedersachsen ist flexible tägliche und wöchentliche Arbeitszeit erlaubt, wenn Kinder unter zwölf Jahren oder Alte zu betreuen sind.

Und auch die 50-Prozent-Quote geben beide Entwürfe als Ziel vor. Für Ausbildungsplätze soll diese Quotierung sofort gelten. Im übrigen sollen verbindliche Schritte zu ihrer Verwirklichung in Förderplänen festgelegt werden. Niedersachsen will Frauen, sofern sie unterrepräsentiert sind, in den ersten drei Jahren bei Einstellungen zu 70 Prozent berücksichtigen. Hessen wiederrum will Verstöße gegen die Förderpläne mit besonderen Genehmigungen oder Einstellungs- und Beförderungsstopps für Männer sanktionieren. Man(n) und frau darf gespannt sein, wie sich diese anvisierte Gesetzgebung im Alltag niederschlagen wird. Die nicht gerade mit Kompetenz geschwängerten Frauenbeauftragten werden einen schweren Stand haben.

Hinter beiden Gleichberechtigungsgesetzen steht die Intention, Lebenswirklichkeit zugunsten der Frauen zu verändern. Die Wirkung einer solchen Gesetzgebung stößt freilich an ihre Grenzen: einerseits an nicht oder schwer beeinflußbare äußere Rahmenbedingungen, andererseits an die ihrer eigenen Zagheit. So können sie für die private Wirtschaft nur Anreizfunktion haben. Das niedersächsische Frauenministerium scheiterte schon bei dem Versuch, öffentliche Auftragsvergaben an frauenfördernde Maßnahmen zu binden. Beide Gesetzesentwürfe schreiben gleichzeitig nur erweiterte Rechte von Frauen im Beruf fest, entwickeln aber kein Instrumentarium, mit dem Veränderungen bei der beruflichen Zeitstruktur, bei Karrierebedingungen und patriarchalen Rollenmustern gefördert werden könnten. Umgekehrt sehen die Entwürfe keine Mittel vor, die faktische familiäre Hauptverantwortung von Frauen abzubauen oder Veränderungen beim Erziehungsgeldgesetz, dem bevorzugten staatlichen Schutz der Ehe, dem Ehegattensplitting und darauf aufbauenden Sozialgesetzen anzustreben. Die systematische Diskriminierung von Frauen in der traditionellen Form der Familienorganisation wird also kaum erfaßt, die männliche Sozialverantwortung in der Familie wird nicht gefördert. Mit Blick auf das Ziel gleicher Ausgangsbedingungen und Chancen für beide Geschlechter existiert höchstens ein indirekter Veränderungsdruck.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Beide Gesetzesentwürfe sehen auch Bestimmungen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vor, die allerdings inhaltlich vage bleiben. Allerdings liefern sie eine präzise Definition, um was es sich handelt: „Eine sexuelle Belästigung ist ein Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz beeinträchtigt – insbesondere unerwünschter körperlicher Kontakt, obszöne Äußerungen oder Witze, das Zeigen pornographischer Bilder und die Aufforderung zu sexuellen Handlungen.“ Auf eine solche Klarstellung mochte sich Bundesfrauenministerin Angela Merkel nicht einlassen. Sie verzichtet in ihrem Bundesreferentenentwurf auf jegliche Definition und verlangt gleichzeitig die „erkennbare Ablehnung“ der Belästigung durch die Frau. Zum Schutz vor sexueller Diskriminierung soll der Arbeitgeber arbeitsvertrags- und dienstrechtlich mit einem entsprechenden Sanktionsrecht gegen den Täter verpflichtet werden. Die Frau erhält ein Beschwerderecht. Kommt der Arbeitgeber seiner Handlungsverpflichtung nicht nach, so darf die Frau ihre Arbeit vorübergehend verweigern. Dieses Recht ist jedoch – im Vergleich zu den Entwürfen aus Hessen und Niedersachsen – der einzige Lichtblick in Merkels Gesetzesentwurf.

Der Entwurf für ein Bundesgleichberechtigungsgesetz will die berufliche Gleichstellung der Frau fördern. Zielvorgaben für die Bundesverwaltung sind danach die „Beseitigung der Benachteiligung“ von Frauen und ihre „Förderung im Beruf“, die „Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie sowie die „verstärkte Mitwirkung“ in öffentlichen Gremien. Das scheint sich von den Zielsetzungen Nordrhein-Westfalens, Hessens und Niedersachens kaum zu unterscheiden, doch der vordergründige Eindruck trügt. Während die einen durch Ge- und Verbote Wirklichkeit tatsächlich zu verändern suchen, beläßt es das Bundesfrauenministerium bei der frommen Empfehlung, sie ein wenig zu ändern.

Die regierungsamtliche Handlung der Frau Merkel

Die problematische Qualität des Gesetzesentwurfes äußert sich in einigen durchgängigen Grundzügen. Daß das Bundesfrauenministerium im Unterschied zu den Ländern in seiner Begründung nirgends eine Analyse der Ursachen von Frauendiskriminierung erkennen läßt, mag noch zweitrangig sein. Wesentlich ist, daß die Zielsetzung des Gesetzesentwurfes unverbindlich und vage bleibt. Der Frauenanteil in den Bundesbehörden „soll erhöht“ werden, die Repräsentanz der Frauen „soll angemessen“ sein. Es gibt keinen Hinweis, daß Frauen bevorzugt behandelt werden sollen, bis eine Parität erreicht ist. Das Gesetz gilt nur für den öffentlichen Dienst und zieht keine Auflagen für die private Wirtschaft in Betracht, die es für die Strukturförderung oder den Umweltschutz sehr wohl gibt und die auch hinsichtlich der Rahmenbedingungen von Arbeitszeiten sehr wohl denkbar sind. Kennzeichnend für den Gesetzesentwurf ist die Abqualifizierung der Quotierung und der weitgehende Verzicht auf Sanktionsmöglichkeiten. Quotenregelungen, heißt es in der Begründung, seien unvereinbar mit den vielfältigen Aufgaben öffentlicher Verwaltung und flexibler Personalpolitik und zudem verfassungsrechtlich bedenklich. Es soll sie weder „direkt oder indirekt“, „weder rechtlich noch tatsächlich“ geben. Diese Absage an die Quote ist der Hauptvorwurf, der dem Entwurf gemacht werden muß.

Die noch vorgesehene Frauenförderung wird darüber hinaus unter zahlreiche Einschränkungen gestellt. Dem sogenannten „Leistungsprinzip“, dem Auswahlmechanismus für alles, was nicht unmittelbar Profit verspricht, räumt Merkel uneingeschränkt Vorrang gegenüber jeder Fördermaßnahme ein. Damit wird die längst bekannte mittelbare Diskriminierung mittels des am Männerdasein orientierten Leistungsbegriffs vollständig ignoriert. In diesen Leistungsbegriff fließen Dienstalter, traditionelle Laufbahnen und automatische Beförderungen als Karrieremechanismen ein, wie auch, unausgesprochen, die Freistellung von Familienpflichten. Karrieremuster also, die Frauen versagt bleiben, wenn sie aufgrund von Kinderbetreuung ihre Arbeit reduzieren oder unterbrechen.

Auch die in Merkels Entwurf immer wieder betonte Berücksichtigung der „dienstlichen Belange“, der „Funktionsfähigkeit der Verwaltung“, der „wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“, der „Rechte und Interessen aller Betroffenen“ läßt die Frage aufkommen, um wessen Interessen es bei diesem Gleichberechtigungsgesetz eigentlich gehen soll. Sollte all dies berücksichtigt werden, so könnte zu guter Letzt die berufliche Gleichstellung auf der Strecke bleiben. Andererseits enthält der Entwurf viele Beteuerungen, daß Frauenförderung gut und richtig für eine moderne leistungsfähige Verwaltung sei, daß sie keine größeren finanziellen Aufwendungen erfordere, daß auch Männer unter der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Familie leiden würden, und daß die Beseitigung der Unterrepräsentanz von Frauen noch lange andauern werde. Ob eine Beschleunigung der Gleichberechtigung bei diesen Lippenbekenntnissen überhaupt gewollt ist, bleibt offen.

So sieht das Gesetz Frauenförderpläne unter „Beachtung des Vorrangs von Eignung, Befähigung und Leistung“, mit dem Ziel „auch der Erhöhung des Anteils der Frauen im Rahmen flexibler Zielvorgaben und zeitlicher Stufenpläne“ sowie eine „angemessene Repräsentanz“ in den Bundesgremien vor. Erfahrungen aus ehrenamtlichen Tätigkeiten wie der Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen, sollen bei Einstellungen berücksichtigt werden.

Damit Beruf und Familie leichter zu vereinbaren sind, „soll“ Teilzeitarbeit bis hin zur Leitungsebene gefördert werden. Gleitzeit „kann angemessene Einzelfall-, aber nicht pauschale Regelung“ sein. Nur eine Benachteiligung bei Teilzeitarbeit und Beurlaubung ist verboten.

Bestellte, aber weisungsfreie Frauenbeauftragte sollen den Vollzug des Gesetzes „fördern und überwachen“. Sie „sollen“ Verstöße innerhalb einer Wochenfrist beanstanden dürfen. Ob ihre Beanstandung jedoch zu weiteren Konsequenzen führt, kann die Dienstleitung pikanterweise selbst entscheiden. Der Gedanke an eine unabhängige Beschwerdestelle scheint Angela Merkel fremd. Gibt es Krach zwischen Chef und Frauenbeauftragter, so kann man die unbequeme Alibi-Frau also leicht kaltstellen.

Merkels Gesetzesentwurf formuliert gar nicht erst den Anspruch, gleiche Ausgangsbedingungen für Frauen und Männer zu schaffen. Er wagt sich kaum wirksam an unmittelbare Diskriminierungstatbestände heran und ignoriert konsequent die mittelbare Diskriminierung. Damit schreibt er letztlich eine modernisierte Zweite-Klasse-Rolle der Frau fest. War einst der Beruf klare Sache des Mannes und die Familie klare Aufgabe der Frau, so scheint das ideale Modell heute die Teilzeitarbeit für die Frau und die Vollzeitarbeit für den Mann.

Auch die Mittel und Instrumente zur Durchsetzung einer Frauenförderung bleiben versagt. Nach Merkels Gesetzesentwurf dürfen Frauen gerade einmal dort mit einem zusätzlichen Schulterklopfen rechnen, wo es funktionell ist, wo die historisch erworbene, soziale Eignung der Frau nützlich ist, wo Frauenförderung Lücken schließt – im übrigen aber bleibt alles beim Alten, insbesondere was die Männerwelt angeht. Frauenpolitik und -förderung reduziert sich auf ein Nebenprodukt des business as usual. Merkels Gesetzesentwurf läuft damit der gesellschaftlichen Praxis hinterher. Er ist nicht mehr als eine Alibihandlung und dabei derart bescheiden, daß er auch durch Verbesserungsvorschläge kaum zu retten ist.