: Währungsunion der Agrarlobby
Bundesregierung fordert in Brüssel mehr Geld für die deutsche Agrarindustrie / Marktgesetze dürfen da gerne mal außer Kraft gesetzt werden / EG-Kommission sieht Chance für Gatt ■ Von Alois Berger
Berlin (taz) – Der Deutsche Bauernverband (DBV) fürchtet nach den EWS-Beschlüssen um die Einkommen seiner Klientel und verlangt von Brüssel, für die Einbußen aufzukommen. Die Bundesregierung hat das Anliegen sofort übernommen und ist deshalb bei der EG-Kommission vorstellig geworden. Die Aufwertung der D-Mark, klagen Bauernverband, Finanzminister Waigel und Landwirtschaftsminister Borchers wortgleich, dürfe sich nicht auf die Agrar-Preise auswirken. EG- Kommissionspräsident Jacques Delors wird aufgefordert, alles zu unternehmen, damit der landwirtschaftliche Umrechnungskurs erhalten bleibt.
Im Klartext heißt das natürlich, daß Delors aufgefordert wird, nichts zu unternehmen, oder zumindest nicht das, was die marktwirtschaftliche Logik erfordern würde. Der landwirtschaftliche Umrechnungskurs liegt schon heute meilenweit vom Marktkurs entfernt. Im normalen Leben ist die europäische Rechnungswährung ECU zur Zeit knapp zwei Mark wert. Aber Fleischgroßhändler und Molkereien bekommen, wenn sie ihre überschüssigen Schinkenberge und Butterhügel an die EG verkaufen, für jeden ECU derzeit 2,35 D-Mark. In ECU kann man nur rechnen, ausgezahlt wird dann doch in nationaler Währung. Von den Milliarden für die Stützungskäufe sehen die Bauern nicht allzuviel. Aber die EG garantiert damit, daß die Preise für landwirtschaftliche Produkte teuer bleiben, und ein bißchen was von diesen hohen Preisen tröpfelt auch bis zu den Bauern durch.
Daß der ECU für die Agrarwirtschaft mehr wert ist, als für den Rest der Welt, liegt daran, daß für die Landwirtschaft sowieso überall Sonderregeln gelten. Da kommt es auf eine mehr nicht an. Der sogenannte grüne Kurs ist das Ergebnis von Aufwertungen der D-Mark, die der Landwirtschaft erspart bleiben sollten. Damit die in ECU berechneten Agrarpreise nicht jedesmal fallen, wenn der Wert der Mark steigt, haben sich die EG- Landwirtschaftsminister schon vor Jahren geeinigt, den Marktkurs zu ignorieren und den grünen ECU einfach konstant zu halten. Lediglich zum Jahresende wird ein bißchen nachkorrigiert.
Bauernverband und Bundesregierung fürchten nun, daß nach den erheblichen Währungsverschiebungen seit dem Wochenende dieses System so nicht mehr zu halten sein könnte. Aus Brüssel gibt es Signale, nach denen die Kommission darüber nachdenkt, den Sonderkurs des Landwirtschafts-ECU etwas früher und etwas stärker an die realen Wechselkurse anzunähern. Für die deutsche Agrarwirtschaft würde das bedeuten, daß die Garantiepreise der EG um ein bis zwei Prozent sinken könnten. Dagegen laufen Verband und Regierung nun Sturm.
Gleichzeitig fordern sie, durch den sogenannten Switch-Over indirekt die Einkommen der französichen Landwirtschaft zu erhöhen. Denn die Franc-Abwertung macht französiche Produkte billiger und könnte in Deutschland zu höheren Agrarimporten führen. Die französchen Bauern hätten nichts gegen höhere Preise, in der Rezession nimmt man für größere Absatzchancen auch niedrigere Einkommen in Kauf.
Was anderswo der Markt regelt, ist im EG-Agrarbereich Verhandlungsmasse. Die französische Regierung, sonst marktwirtschaftlichen Lösungen gegenüber eher skeptisch, will diesmal darauf bestehen, daß der grüne ECU-Kurs näher an den Marktkurs herangeführt wird. Die EG-Kommission, die schon seit längerem nach einer Trumpfkarte sucht, um Frankreich zum Einlenken bei den Gatt-Verhandlungen zu zwingen, scheint hier fündig zu werden. Bei einer währungsbedingten Wettbewerbsverbesserung für französische Produkte in Europa, heißt es in Brüssel, könnte Paris bereit sein, doch noch dem Gatt-Kompromiß über den Abbau von Agrarsubventionen zuzustimmen.
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