So wichtig wie ein Furz

■ Rachel Rosenthal beim Sommertheater auf einer schamanischen Reise „Pangaean Dreams“

Im Rollstuhl wird die alte Dame mit dem rasierten Schädel auf die Bühne geschoben. Mieser Auftritt, schlechte Beleuchtung nörgelt sie den jungen Mann, den sie ihren Boyfriend nennt, an, als sei sie just aus einem Beckettschen Endspiel entkommen. Rachel Rosenthal hat das Kommando auf der Bühne der K1 übernommen, resümiert das 20. Jahrhundert und vergangenen Schmerz. Nach und nach nimmt sie Verbände und orthopädische Stützen von Armen und Beinen. Der Schmerz sei ein autonomes Wesen, er habe sie derartig gequält, daß sie am liebsten gestorben sei — aber, er habe ihr auch was gesagt.

Sie entledigt sich der Krücken und Verbände. Eine „schamanische Reise“ — so der Untertitel der Performance Pangaean Dreams beginnt mit einem von Rasseln und schrillen Lauten begleiteten Gruß der kalifornischen Reiseleiterin in alle vier Himmelsrichtungen. Nach dieser ersten Anstrengung träumt sie sich 250 Millionen Jahre zurück, in die Zeit, als die Kontinente noch auf den großen Knacks warteten.

66 Jahre ist Rachel Rosenthal, Performance-Diva von der amerikanischen Westküste, wo der St. Andreas-Graben mit tektonischen Überraschungen täglich dräut, ohne daß das noch die Bevölkerung beunruhigen könnte. Nahe also liegen ihr die zwei großen Themen, die sich Rosenthal in Pangaean Dreams zusammengeklaubt hat: Gaia, das chaotische Lebewesen Welt, und Rachel, der chaotische menschliche Kontinent, der dem Publikum beim Sommertheater eine höchst persönliche Art von „Glasnost“ verspricht.

Beide Wesen sind in Bewegung, ihre Basis nicht sicher, und aus der Perspektive Gaias, doziert Rachel Rosenthal, sind Menschen etwa so wichtig wie ein Furz. Im Teil und im Ganzen stecken dasselbe Chaos, dieselben Spannungen, Brüche und vor allem Widersprüche. Und die lebt Rosenthal auf der Bühne, kehrt ihr eigenes „autonomes Wesen“, das wild, brutal, ungezügelt und gewalttätig ist, hervor. Sie knurrt und droht, schwelgt im Untier, um im nächsten Moment voll guter Absicht mit hohem Stimmchen und ziemlich komisch eine „harmonische“ Welt zu beschwören — so freundlich wie eine Führerin durch Euro-Disney.

Amy Knoles begleitet die Ausbrüche, die Wirbel und auch die geradezu meditativen Momente am Octapad. Auch mit dem Klang von Steinen arbeitet Knoles, läßt sie auf ein Mikrophon tropfen oder reibt Findlinge aneinander, daß Geräusche entstehen, als drängelten sich gerade zwei Kontinentalsockel aneinander vorbei. Das Donnerblech wird zur Projektionsfläche, während Rosenthal Ausgrabungen einer unvollkommenen menschlichen Hülle beendet, die schließlich über der Bühne schwebt.

„I do performances to do something else“, sagt Rosenthal. Stringente Theatermechanik liegt ihr fern, Rachel Rosenthal hat den Mut zur Selbstentblößung: „Die Welt gebiert Monstrositäten, manche sind wie wir, manche sind wir.“ Das zu sehen, darin mag noch etwas Hoffnung für Gaia, Rachel und andere liegen.

Julia Kossmann

noch heute, 21 Uhr, K1