Ekellust

■ Graf Haufen über Fantasy, Zensur und Splatter-Fans

Graf Haufen ist noch nicht offiziell abgebrochener Medienwissenschaftler im 19. Semester und vor allem Mitbesitzer von Videodrom, Berlins (und wahrscheinlich sogar Deutschlands) ältester Off-Videothek mit dem Programm für jeden Geschmack. Als Mr. Slut gibt er zusammen mit anderen „Splatting Image“ heraus.

Seit einigen Jahren wird das Genre „Splatterfilm“ totgesagt. Ist die Nostalgie für das vergangene Jahrzehnt berechtigt?

Graf Haufen: Die Intention damals in den Achtzigern war, möglichst viel zu zeigen, möglichst realistische Effekte, möglichst viel Blut, um den Zuschauer zu schocken. Das funktioniert heutzutage nicht mehr, schon durch die Zensur in den meisten Ländern. Deswegen hat sich das Genre eher auf Teenie-Horror und Fun-Splatter verlagert, auf ein zumeist jugendliches Publikum zugeschnitten. Die kennen die alten Filme von Fulci oder Joe d'Amato nicht. Splatter hat sich erweitert, ist weg vom reinen Blutspritzen, was der Name ja ausdrückt. Damals konnten Filme noch „sozial-ethisch desorientierend“ sein, wie die FSK das nennt. Es ging darum, möglichst viele Effekte in einen Film reinzubauen, damit die Leute sich angenehm gruseln können oder angenehm angeekelt sind. Heute wird es aber entweder mit intelligenten Plots verbunden wie bei „Henry – Portrait of a Serial Killer“ oder wie bei „Braindead“ als Komödie verarbeitet. Oder es wird gleich für den Teenagermarkt aufbereitet wie „Return of the Living Dead 3“ oder „Ticks“.

Warum gibt es das Genre kaum noch?

Weil Filmemachen ja auch was mit Geldverdienen zu tun hat. Und wenn man Filme nur noch im eigenen Land verkaufen kann, wie das den Italienern passiert, die teilweise ja noch solche Filme machen, dann ist die Basis weg. Dazu kaufen die meisten Länder mit Ausnahme von Deutschland nicht gerne Fassungen, die sie noch schneiden müssen. Deshalb sind die etwas blutigeren und härteren Filme vom Markt. Wenn zum Beispiel ein Film in den USA ein „NC 17“-Rated bekommt, was früher „X-Rated“ war, also nicht an Jugendliche unter 17 verliehen werden darf, kommt der dort nicht in die großen Videotheken-Ketten oder gar ins Kino. Ein „NC 17“ ist für jeden Film ein finanzielles Debakel, weil er dann nicht so vertrieben werden kann, wie er es nötig hätte. Also werden Filme gedreht wie „Braindead“, die als Komödie auch funktionieren können in Ländern, die härtere Zensurbedingungen haben und entsprechend schneiden.

Die Schnitte der FSK in „Braindead“ waren doch bloß ein Alibi. Wenn man alle splattrigen Szenen herausgeschnitten hätte, wäre nur eine halbe Stunde übriggeblieben.

In England zum Beispiel ist „Braindead“ gar nicht geschnitten worden, weil die Zensoren dort andere Maßstäbe ansetzen. Wenn ein Kopf abgehackt wird, ist das in Deutschland ein Akt, der „sozial- ethisch desorientierend“ wirken könnte und als solcher nicht zu sehen sein darf oder nur als kleines Schockmoment. In Deutschland sieht man nur das Bild als Bild und nicht den Inhalt, der darin steckt. In England stellen sie solche Szenen in den Zusammenhang. In „Braindead“ ist das Kopfabhacken witzig gemeint, und so wird es als Bestandteil der Komödie, als Übertreibung angesehen. Ein englischer Zensor duldet dafür nichts mit Kampfsportwaffen, aber das sind praktikable Richtlinien. In Deutschland sieht das anders aus. Hier kann „Braindead“ zwar FSK- genehmigt und -geschnitten ins Kino kommen, aber theoretisch dann immer noch eingezogen werden. Und dann könnten die Vertreiber sogar noch strafrechtlich belangt werden, das Gesetz wurde erst kürzlich geändert.

Aber Horror, wenn es denn jeweils reine Formen gäbe, lebt ja von Versprechungen, die eben nicht eingelöst werden und nur im Kopf ablaufen. Splatter löst diese Versprechungen ein.

Neben der Angstlust gibt es halt auch noch eine Ekellust. Ich kann da nur von mir reden und sagen, warum ich mir so was Geistloses wie „Freitag, der 13.“ hin und wieder ganz gerne angucke. Ich weiß im voraus, was passiert, nämlich fickende Teenager werden abgeschlachtet von einem verrückten Serienkiller mit übernatürlichen Kräften. Es ist im Prinzip nur der Bodycount, es ist die totale Langeweile. Es ist ungefähr so, wie wenn man sich eine Vorabendserie ansieht. Dieses Schema, das man kennt, das einem gefällt und das man immer wieder gerne sieht. Das greift, glaube ich, auch beim Horrorfilm, spricht aber jetzt halt leider gegen meinen Vorwurf, daß das Genre kaum noch originell ist. Aber ich will mir auch nicht immer „Freitag, der 13.“ ansehen. Bei Splatter liegt eine Faszination sicher darin, daß man etwas sieht, was im Inneren des Körpers liegt.

Aber im Gegensatz zu Vorabendserien oder Liebesfilmen gibt es bei hartem Horror eine eingeschworene Kultgemeinde inklusive einer reichen Fanzine-Landschaft.

Weil man was Tabubelegtes tut, wenn man sich solche Filme anguckt, möchte man sich auch mitteilen. Infolgedessen kommen Brieffreundschaften zustande, oder man gibt sogar ein kleines Fanzine heraus. Durch die Unterdrückung des Genres finden sich – wie bei jedem unterdrückten Medium – Fankreise, die entsprechend euphorisch an die Sache rangehen. Da Liebesfilme nicht verboten sind, gibt es entsprechend auch keinen Kult. In Italien zum Beispiel sind Horrorfilme derzeit völlig out. Das ist zum einen darin begründet, daß die Qualität ziemlich schlecht ist, aber auch daß die Leute alles im Fernsehen sehen können. Da läuft so was wie „Tanz der Teufel“ zur besten Sendezeit, 20.15 Uhr, ungeschnitten im Fernsehen.

So was wie das Serienkiller- Phänomen, das ja bisher nur kultisch behandelt wurde, wird inzwischen langsam aber sicher vom Mainstream absorbiert.

Das ist ja nicht nur im Filmbereich so. Das Phänomen läßt sich in Amerika spätestens seit Mitte der 80er beobachten und wird seitdem immer größer. Dort sind Dokumentar-Bücher über Serienkiller wie John Wayne Gacy oder Ed Gein mittlerweile zu einer ganz normalen Massenware geworden. Das geht so weit, daß es in den USA in jedem Buchladen inzwischen eine True-Crime-Ecke gibt. Das geht Hand in Hand mit Reality-TV und der extremeren Form der Mondo-Filme wie „Gesichter des Todes“. Parallel dazu der literarische Durchbruch mit Thomas Harris oder „American Psycho“. Und wenn so ein Trend da ist, setzt der sich logischerweise auch im Kino durch. So was wie „JFK“ ist im Prinzip ja auch ein True-Crime- Film.

Man fragt sich ja, was an filmischer Steigerung nach dem Serienkiller überhaupt noch kommen kann.

Wenn man das wüßte, könnte man viel Geld verdienen. Früher war das noch relativ nachvollziehbar. Eigentlich ergibt sich das erst retrospektiv. Das Problem ist ja auch, daß es viele verschiedene Szenen gibt. In Hongkong zum Beispiel ist es relativ leicht zu durchschauen. Da gibt es immer einen Trend, der ein halbes Jahr lang anhält, 20, 30 Filme produziert, dann ist es wieder tot, und der nächste Trend kommt. Wenn da ein Film am Box-Office erfolgreich ist, streiten sich zwei Monate später die Rip-Offs um die Plätze. Vor kurzem waren es die Schwertkämpferfilme, mittlerweile sind die auch beim Serienkiller angelangt, wobei natürlich die Hongkong-Variante etwas härter ist. Interview: Thomas Winkler