■ Ohne Staat, ohne Lobby
: Im Schweinsgalopp ins vierte Reich

Jemand hat ein gültiges Touristenvisum, etwas Geld, ein Auto, kurz alles, was man hierzulande braucht, um einige Zeit verweilen zu dürfen. Der Betroffene kommt in eine Polizeikontrolle, kriegt einen Überprüfungsvermerk in seinen Paß. Spätestens hier drängt sich die Frage auf, warum? Das Ganze geht weiter. Ihm wird unterstellt, daß die Barschaft aus Trickdiebstählen stamme, das Auto geklaut sein müßte und der Aufenthalt gewiß nicht in Ordnung sei. Dazu gibt es Handschellen. Er wird in bester Wildwestmanier untersucht und festgenommen, denn schließlich herrsche Anlaß zur Annahme der Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Nach 24 Stunden und etlichen Protesten ist der Mann wieder frei. Alle Unterstellungen hatten sich als falsch erwiesen. Doch ist zu beachten: bei dem Betroffenen handelt es sich um einen Rom, im Volksmund: „Zigeuner“.

Wo leben wir eigentlich? Im wiedervereinigten Deutschland. Einem Gebilde, das die Zeiten für uns Roma noch härter werden läßt. Aber nicht allein für uns. Alles, was gegenwärtig nicht deutsch ist, keine Finanzen bringt, als Fremdling identifizierbar ist und sich dessen nicht mal schämt, hat Grund, Angst zu haben. Wir Roma jedoch sollen uns besonders fürchten. Ohne Staat, ohne Lobby gibt es keine diplomatische Protestnote, keine nationalen Drohgebärden. Jenseits einschlägiger historischer Erfahrung wird von uns zudem erwartet, stillzuhalten, Kooperation zu zeigen bei Verfolgung, Ausweisung und Demütigung. Sicherlich nichts Neues. Doch die Ignoranz und der Vorsatz, gleich ob auf politischer Ebene, in Verwaltung oder auf der Straße, verblüffen. Es ist die offensiv versteckte, stillschweigende Übereinstimmung von reaktionär bis aufgeklärt, wieder – im Glücksfall – geduldet, aber im Prinzip überflüssig zu sein. Es war ja schon immer unerheblich, wie wir sind. Der Knackpunkt ist doch in der Regel, daß wir überhaupt existieren.

Handschuhtäter sind gefragt, legitimiert durch höchstrichterliche Urteile, vor Dummheit strotzenden Studien oder behördliche Logik. Die kritische Öffentlichkeit versagt, das althergebrachte Vorurteil dominiert. Mehr denn je sind wir wieder schuld. Soziales Desaster, Asyl, gescheiterte Integration – das Kompliment ehrt, denn über soviel gesellschaftlichen Einfluß in Politik und Wirtschaft verfügten wir noch nie.

Nicht nur eins ist uns Roma klar. Öffentlicher Schutz ist ein Fremdwort. Wo und bei wem wäre er einklagbar, wenn Rechte die Freiheit besitzen, weitestgehend unbehelligt tagtäglich Nichtdeutsche zu terrorisieren, zu morden? Wir haben für unseren Schutz vordringlich selbst zu sorgen. Die gegenwärtige Stimmung gibt Roma zur Jagd frei. Niemand wird uns zur Schlachtbank führen. Nur zu gut wissen wir, daß der Kern des Problems diejenigen sind, die aus uns das Problem machen. Hans-Georg Böttcher, Roma-Union Frankfurt am Main