Frieden allenfalls im Himmel

Interview mit Harald Heller und Hans-Georg Böttcher, den beiden Vorsitzenden der Roma-Union Frankfurt am Main  ■ Von Silvia Korn

taz: Was hat Sie dazu veranlaßt, die Roma-Union zu gründen?

Böttcher: Die Roma-Union besteht seit 1989. Nach dem Tod von Wilhelm Weiß, dem Präsidenten des Vereins Roma-International, ist sie neu aufgebaut worden. Wir begreifen uns als eine Selbsthilfeinitiative, die vor allem ausländische Roma vertritt, das heißt Leute aus Rumänien, aus Polen, aus der Tschechischen Republik, der Slowakei, aus allen Ländern. Schwerpunkt unserer Aktivität ist die Sicherung des Aufenthalts, Beschaffung von Wohnungen, also die Hilfe in allen Lebenssituationen.

Heller: Mit der Öffnung der Grenzen in Osteuropa ist die Unterstützung der flüchtenden Roma hier immer offensichtlicher geworden. Das sind doch Leute von uns. Es war ja niemand da, der behilflich war. Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt, daß ein Teil der Leute auch aus unseren eigenen Familien kommen. Angehörige, die wir durch den Krieg aus den Augen verloren haben. Ich habe neue Familienmitglieder kennengelernt, von denen ich gar nicht wußte, daß die noch existieren.

Wie war die Reaktion?

Heller: Die Stadt Frankfurt war anfangs Feuer und Flamme. Da war endlich ein Ansprechpartner, der zwischen den Seiten vermittelt hat. Allerdings wußten wir damals nicht, was das für eine Arbeit wird. Mit der Zeit wuchsen uns die enormen Probleme über den Kopf. Die Wohnzimmer von uns waren ständig als Büro umfunktioniert. Unser Familienleben fand nicht mehr statt. Das Telefon ging pausenlos. Wir waren am Ende mit den Nerven.

Nun profitiert ja nicht zuletzt die Stadt von den Bemühungen der Roma-Union. Gab es da nicht Versuche, die Tätigkeit räumlich und finanziell auf stabile Beine zu stellen?

Böttcher: Diese Gespräche wurden immer geführt. Lippenbekenntnisse gab es ständig. Nur gemacht worden ist kaum was. Anfangs waren wir noch optimistisch, was die Realisierung des Gemeindezentrums anging.

Welche Vorstellungen verbinden Sie mit dem Zentrum?

Heller: Wir, die Roma, sind hier in Frankfurt eine Gemeinde mit zirka zweitausend Mitgliedern. Wir wollen unsern Kindern einen Raum bieten, für unsere alten Leute eine Begegnungsstätte schaffen, eine Beratungsstelle, einen Kindergarten, Hilfe für die Schule. Eine Stätte, über die wir selber verfügen, in der unsere Lebensorganisation gewährleistet ist. Ähnlich wie das jüdische, das türkische oder spanische Gemeindezentrum. Wir sind damals auch von der Stadt motiviert worden, haben ein Konzept erarbeitet, bis ins kleinste Detail. Das ist dann zigmal eingereicht und korrigiert worden.

Böttcher: Jetzt heißt es wieder, es ist kein Geld da, aber macht doch mal Vorschläge. Was denken die sich. Wir sind kein Planungsbüro. Gut, aus der Absicht, eine Stätte für uns Roma zu schaffen, ist nun vorerst ein halbes Büro mit acht Quadratmetern geworden. Immerhin ein Fortschritt gegenüber dem vorherigen Zustand.

Heller: Das steht aber nun auch schon wieder auf der Kippe. Einerseits ist die finanzielle Belastung mit 740 Mark Miete monatlich zu hoch, andererseits platzt uns der Raum aus allen Nähten. Die Arbeit hat ein Ausmaß angenommen, das ein Außenstehender gar nicht abschätzen kann. Das sind Probleme, die unter den Nägeln brennen. Ein Faß ohne Boden. Wir schauen nicht auf die Uhr, Feierabend, Schluß. Nein, wir sind da, nehmen uns Zeit, wir hören unseren Leuten zu. Wir gehen auf sie ein. Hier gibt es keine Beamten, die die Tür zuknallen und gehen. Das ist auch eine Mentalitätsfrage. Wichtig ist, das Gefühl zu vermitteln, daß wir das Problem verstehen und eine Lösung suchen. Nonstop, egal, auch wenn ich mir manchmal vorkomme wie im Kampf gegen Windmühlen. Bei uns arbeitet man rund um die Uhr.

Die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Arbeit wie Sie sie leisten, ist mittlerweile mit der Lupe zu suchen.

Böttcher: Das Klima ist ausgesprochen schlecht. So wie es sich allgemein festmacht, wenn man allein die Angriffe und Morde gegenüber den türkischen Familien sieht. Das drückt sich auch im Umgang mit Behörden aus. Uns geht es darum, politische Lösungen zu finden. Allerdings lassen sich die Verantwortlichen in der Regel nicht blicken. Im Vorzimmer ist meistens Schluß. Man glänzt durch Abwesenheit. Geduld wird verlangt in einer Zeit, in der es für uns Roma ums nackte Überleben geht. Von Kooperationen kann keine Rede sein, die wollen uns vielmehr optimal nutzen. Für die Stadt ist unser Büro keine Anlaufstelle, die meinen, wir hätten Bringschulden.

Heller: Warum soll der Verwaltungsangestellte anders denken als die Mehrheit der Bevölkerung. Bei Vermittlungsbemühungen für eine Roma-Familie bin ich als Betrüger und die Roma-Union als Lügnerunternehmen tituliert worden. Entweder bin ich glaubwürdig oder nicht. Es ist bezeichnend, wenn sich der kleine Schreiberling wieder aufblasen kann, nach Gutdünken Betragensnoten verteilt und Schicksal spielt. Das Klima erlaubt es wirklich wieder, jeden „Zigeuner“ nicht allein als überflüssigen Fresser hinzustellen, nein die Sündenbockrolle wird auch schon wieder mit vollen Löffeln verteilt. Es ist egal, ob das in der Schule ist, privat oder bei Behörden. Uns bleibt die alte Weisheit, „der Rom findet Frieden im Himmel, auf Erden nicht“.

Wie geht's weiter, mit dem Rücken zur Wand?

Böttcher: Uns bleibt auch unsere Identität. Die wurde nicht und wird auch nicht zerstört. Was haben wir zu verlieren? Wir verstecken uns nicht. Wir stehen zu dem, was wir sind und wo wir herkommen. Die Roma-Union steht für dieses Selbstbewußtsein. Sie steht für das Engagement gegen die alltägliche Ungerechtigkeit.

Heller: Die Arbeit hat uns untereinander nähergebracht, mehr Vertrauen bewirkt. Wir lassen uns nicht vereinnahmen für die Ziele anderer. Die Rückbesinnung auf die eigenen Kräfte, der ungebrochene Selbstbehauptungswille gibt uns Zuversicht. So ist eine Öffnung, um politisch stärker aufzutreten, möglich geworden. Niemand von uns schämt sich der Tatsache, Rom zu sein. Schwierigkeiten damit haben zuallererst die Nicht-Roma!