Eine Lebenshaltung: Sich nichts gefallen zu lassen

■ Warum eine deutsche Rom keine deutsche Staatsbürgerin sein kann

Wegen möglicher Nachteile wurde die Lebensgeschichte anonymisiert. Frau Elm ist mit Sicherheit nicht ängstlich. Dennoch, die Erfahrung hat sie gelehrt, vorsichtig zu sein, und die vorherrschende Stimmung im Land gibt ihr recht. Nicht zuletzt, wenn es um Roma geht. Frau Elm ist 63 Jahre. Der Vater war Pferdehändler, hatte eine Tischlerei und Schlosserei. Das Geschäft ging gut. Die Familie konnte davon leben. 1939 wurden die Eltern festgenommen und ins Arbeitslager Nürnberg gebracht. Die Kinder kamen ins Heim. „Nach einem Jahr „waren wir alle auf dem Transport.“ Brüder und Vater müssen ins KZ Dachau, Mutter und Schwestern ins KZ Ravensbrück.

Das Frauenlager Ravensbrück ist berüchtigt. Alte und Gebrechliche werden im Krankenblock durch Spritzen getötet. Schläge, Demütigungen sind an der Tagesordnung. Von Ravensbrück aus verfrachtet man die Häftlinge nach Auschwitz. Frau Elm wußte – im Gegensatz zu Verlautbarungen der Täter und Mitläufer –, was die Deportation ihrer Mutter und Geschwister bedeutete. „Wir haben gehört, daß dort die Leute vergast werden.“ Sie zieht beim Appell die Mutter aus der Reihe. „Ich wollte sie retten, sie sollte nicht nach Auschwitz kommen.“ Weil sich die Tochter widersetzt, werden beide in Handschellen gelegt, einen Tag und eine Nacht in einen Kellerraum gesteckt, in dem ihnen das Wasser bis zum Mund steht, und nach der Tortur mit glühenden Eisen malträtiert. Die Mutter und fast alle Angehörigen wurden in Auschwitz ermordet.

„Dann sind wir von Ravensbrück nach Mauthausen gekommen. Im Waggon waren auch Tote. Es war so eng, daß wir auf den Leichen schlafen mußten.“ Die Arbeit im Steinbruch und auf den Feldern ist unmenschlich. Alle Wege sind vermint. Viele werden getötet. Noch vor dem Eintreffen der Alliierten will die SS das KZ samt allen Gefangenen in Brand setzen. Ein Lageraufstand hindert sie daran. „Wir haben uns selbst befreit.“

Es ist bemerkenswert, wie Frau Elm von allem spricht. Daß sie „schlecht behandelt“ wurde, wie sie resümiert, zeigt, wie schwierig es ist, über das zu reden, was ihr zugefügt wurde. Es weist aber auch auf, daß sie sich angesichts dessen, was sie erlebte, nicht unterkriegen ließ. Eine Lebenshaltung: „Rom zu sein und sich nichts gefallen zu lassen.“

Mit Überbrückungshilfe schlägt sie sich nach 45 durch, lernt ihren Mann, einen deutschen Rom, der durch sieben Lager ging, kennen, kriegt das erste Kind. Ihr wird amtlich bestätigt, während des Nationalsozialismus in KZ-Haft gewesen zu sein und daß die Eltern und sie in Deutschland gebürtig sind. „Die Papiere sind gekommen, da hat's gestanden, daß ich Deutsche bin, schwarz auf weiß.“

Was im KZ passiert ist, kann nicht wiedergutgemacht werden. Dieser beflügelte Begriff dient vornehmlich zur Entschuldigung der Täter. Allerdings ist eine finanzielle Entschädigung notwendig. Die wird zwar an die Frau gezahlt, jedoch fein säuberlich mit der Sozialhilfe verrechnet, so, als wäre die minimale Gewährleistung der Existenz von jemandem, der nicht durch Arbeit oder Gas vernichtet wurde, schon Entschädigung genug. Ein nicht erwähnenswerter Restbetrag bleibt übrig.

Die Familie zieht nach Frankfurt am Main. Die Vergangenheit holt sie schnell wieder ein. Frau Elm stellt sich als Zeugin in dem Prozeß gegen eine SS-Aufseherin des KZ Ravensbrück zur Verfügung. „Ausgerechnet mich haben sie gefragt.“ Zweifelsfrei identifiziert sie die Angeklagte, die mit Hunden und Peitschen gegen die Häftlinge vorging, aus Menschenhaut Handschuhe und Lappen fertigen ließ.

Herr Elm arbeitet als Geschäftsmann. Fünf Kinder sind jetzt da. „Sie gingen zur Schule, jeden Tag, alles war in Ordnung.“ Die Spätfolgen der Internierung, vor allem das Herzasthma, zwingen den Mann früh in Rente. Mit 68 Jahren stirbt er.

Den Behörden blieb ihre Identität als Rom offfensichtlich ein Dorn im Auge. Bei der Verlängerung des Personalausweises wird das Dokument entzogen. Ein Ersatzpapier, der Fremdenpaß für Staatenlose, akzeptiert Frau Elm nicht. „Ich bin öfters raufgegangen und habe meinen Personalausweis zurückverlangt. Ich bin eine deutsche Rom.“ Die Ausländerbehörde ist stur. „Es wäre nicht festzustellen, ob ich wirklich Deutsche bin. Die sagten, ich bin doch Rom, Zigeunerin, sie können nicht deutsch sein.“ Frau Elm ist jetzt Rentnerin. Sie lebt nicht im Altersheim, sondern so, wie es bei Roma üblich ist, mit Kindern und Enkeln zusammen. Trotz Krankheit ist sie aktiv. Verbitterung ist nicht zu spüren, Anklage und Auflehnung schon. Joachim Brenner