Generalstreik nach serbischer Art

■ Wie es den staatlichen Gewerkschaften gelang, den Ausstand der Unabhängigen ins Leere laufen zu lassen

Niš (taz) – Aus dem groß angekündigten Generalstreik serbischer Arbeiter aller Branchen ist in Niš, der zweitgrößten Stadt der ehemaligen jugoslawischen Republik, kaum mehr als ein Drama ohne Publikum geworden. Vor zehn Tagen hatte der „Unabhängige Gewerkschaftsbund“ (NSS) für gestern zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Der Ausstand sollte die serbische Regierung zwingen, die miserable Situation der Beschäftigten anzuerkennen.

Ein Brief des NSS an die Regierung faßte die Forderungen der Arbeiter zusammen: Die Löhne und Renten sollen auf dem Minimum zum Lebenserhalt bleiben, und rechtzeitig und in Bargeld ausgezahlt werden. Auch die in Serbien übliche Praxis des ex-kommunistischen Managements der Betriebe, Staatseigentum in die eigene Tasche zu „privatisieren“, sollte unterbunden werden. Und: Die Regierung solle die Verantwortung für die Inflation und die miserable Lebenssituation der Arbeiter des Landes übernehmen.

Die Menschen in Niš sehen zwar die Notwendigkeit dieser Forderungen, sind aber sicher, der Ausstand sei letztlich nichts als eine „kommunistische Farce“. Bestärkt werden die BürgerInnen dadurch, daß sich auch die regimetreue „Vereinigung der Gewerkschaften Serbiens“ (SSS) dem Aufruf der unabhänigen KollegInnen angeschlossen hat. Für sie ist die SSS nichts anderes als eine Abteilung der serbischen Regierung.

Zudem ist es den Behördern bisher gelungen, die Protestaktion in kontrollierbaren Bahnen zu halten: So darf niemand seinen Arbeitsplatz verlassen, um auf der Straße zu streiken.

Für BesucherInnen in Niš entsteht der Eindruck, daß jeder Mensch in der Stadt Angst vor den Autoritäten hat – auch die NSS- Führung. Wohl auch deshalb sehen die Gewerkschafter die Ursachen für die miserable Lage der Beschäftigten in dem seit über einem Jahr geltenden UN-Embargo gegen ihr Land. Ihre Vorsicht ist berechtigt: Während sich die NSS- MitarbeiterInnen um Besuche in den Fabriken für ausländische Journalisten bemühen, dringen Zivilpolizisten in das Gewerkschaftsgebäude ein und demonstrieren ihre Macht: obgleich es hier um einen offen publizierten Streik ginge, sei es den Journalisten nicht erlaubt, irgendeinen Ort in Serbien zu besuchen, ohne in Belgrad akkreditiert zu sein. Das sei überall auf der Welt so. Dann werfen sie die JournalistInnen aus der Stadt und versichern zum Abschied noch freundlich: „Ihr habt Glück gehabt, nicht in größere Schwierigkeiten geraten zu sein. Dobar Dan!“ Russell Liebman