■ Kriegsflüchtlinge sind unerwünscht
: Zehntausende Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet im ehemaligen Jugoslawien sind von Abschiebung bedroht. Mehrere Bundesländer dulden nur noch bosnische Flüchtlinge.

Kriegsflüchtlinge sind unerwünscht

Das zweiseitige Papier aus dem Berliner Innensenat kommt ganz harmlos daher: ... „stellen wir unsere Weisung vom 30. November wie folgt klar“. Eine Klarstellung also? Nichts Neues? Die sechs dann folgenden Punkte sagen etwas anderes. Klargestellt wird: rund 10.000 in Berlin lebende Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sollen ihre Koffer packen. Die Berliner Ausländerbehörde will ihnen keine weitere ausländerrechtliche Duldung mehr erteilen. Mit Weisung vom 28. Juli hat der Innensenat angeordnet, daß ab sofort nur noch Flüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina und Kroaten, die vor dem Stichtag 23. Mai 1992 nach Deutschland eingereist sind, in Berlin bleiben dürfen. Bereits erteilte Duldungen an Serben, Slowenen oder Kroaten, die nach dem Stichtag ihren Fuß auf deutschen Boden gesetzt haben, werden nach Ablauf der Gültigkeit nicht mehr verlängert. Die Flüchtlinge bekommen eine Ausreiseaufforderung in den Paß gestempelt. Acht-8 bis 12.000 Kriegsflüchtlinge, so die amtlichen Schätzungen, müßten dann in den nächsten Wochen eigentlich abgeschoben werden. Doch wahrscheinlicher ist etwas anderes: eine Welle von neuen Asylsuchenden wird künstlich erzeugt.

Daß die Flüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurückkehren, ist kaum vorstellbar. Und zwangsweise Abschiebungen sind für eine so große Anzahl vom Menschen nur schwer möglich. Schon jetzt sind die Berliner Abschiebeknäste wegen Überfüllung geschlossen. Die Konsequenzen werden denn auch nicht auf den Flughäfen und Bahnhöfen sichtbar sein, sondern andernorts: ein Teil der Flüchtlinge, so warnt man in der über die Neuregelung verärgerten Berliner Sozialverwaltung, wird in die Illegalität getrieben. Dort haben sie weder Anspruch auf staatliche Unterbringung noch auf Sozialhilfe. Der andere Teil wird ins Asylverfahren flüchten. Eine Chance auf Anerkennung hätten sie dort zwar nicht, aber die dann notwendige Einzelfallprüfung sichert immerhin Zeitgewinn. Was für die Betroffenen vorläufigen Ausweisungsschutz bedeutet, würde innerhalb kurzer Zeit zum Kollaps des Zentralen Aufnahmelagers führen. Denn seit dem 1. Juli – so will es der neue Asylkompromiß – müssen alle Asylbewerber in zentralen Heimen untergebracht werden, auch wenn sie bisher bei Verwandten oder Bekannten wohnten.

Was in Berlin jetzt Empörung und Kopfschütteln auslöst, ist in einigen anderen Bundesländern längst Gang und Gäbe. Denn weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben die Innenminister von Bund und Ländern den Krieg im ehemaligen Jugoslawien längst für beendet erklärt. Als gefährdetes Gebiet, in das nicht abgeschoben werden darf, gilt mittlerweile nur noch das umkämpfte Bosnien- Herzegowina.

Die Weichen für diesen im fernen Deutschland erzielten „Friedensschluß“ wurden am 22. Mai gestellt. Auf ihrer gemeinsamen Konferenz verständigten sich die Innenminister von Bund und Ländern darauf, daß alle Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und Kroatien, die bis zu diesem Zeitpunkt in Deutschland lebten, eine gesicherte Bleibemöglichkeit erhalten. Was mit denen ist, die danach kamen – und bis heute kommen – ließen die Innenminister offen. Nur über einen generellen Abschiebestopp für bosnische Flüchtlinge war man sich einig. Der gilt vorerst bis Ende September. Alles weitere jedoch blieb Ermessensache der einzelnen Länder. So wollte das Gros der Bundesländer den Beschluß der Innenministerkonferenz, bis zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland lebenden Flüchtlingen Schutz zu gewähren, als Umkehrschluß gedeutet wissen: wer nach dem Stichtag kam, sollte mit Ausnahme der Bosnier, kein generelles Bleiberecht mehr bekommen.

Niedersachsen und Bayern etwa, wo allein 70.000 Kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien untergekommen sind, interpretieren den Innenministerbeschluß nicht nur als Abschiebebeschluß. Sie praktizieren ihn auch so. „Selbstverständlich schieben wir ab“, heißt die Antwort aus dem bayerischen Innenministerium, „in Kroatien herrscht doch kein Bürgerkrieg, das ist mit Ausnahme der besetzten Zonen befriedetes Gebiet.“ In Hessen weiß man nicht, ob abgeschoben wird. Baden- Württemberg, zweitgrößtes Aufnahmeland für jugoslawische Flüchtlinge, sieht bisher von Ausweisungen wegen offensichtlicher „Abschiebehindernisse“ ab. Nun will man nach Gesprächen mit der kroatischen Regierung einen Vorstoß auf Bundesebene machen. Ausschlaggebend für eine Abschiebung soll nicht mehr der willkürliche Stichtag 23.5.92 sein, sondern die Frage, ob die Herkunftsregion der kroatischen Flüchtlinge serbisch besetzes Gebiet ist.

Nun geht Berlin eigene Wege. Nach der neuen Weisung darf ins ehemalige Jugoslawien abgeschoben werden. Die Innenverwaltung gibt als Begründung auch die Rechtslage durch den Asylkompromiß an. Tatsächlich hatte sich die Bonner Allparteienkoalition im Zuge der Änderung des Asylrechts auch auf einen Paragraphen geeinigt, der Bürgerkriegsflüchtlingen einen einheitlichen und gesonderten Status schaffen sollte. Er wird wohl nie Anwendung finden. Denn er verlangt, daß sich sämtliche 16 Bundesländer mit dem Bund darauf verständigen, für welche Flüchtlingsgruppen er gelten soll. Ein fast aussichtloses Unterfangen. Bisher haben Bund und Lännicht versucht, dieses Einvernehmen herzustellen. Der Asylkompromiß, der Flüchtlinge aus dem Asylverfahren heraushalten wollte, verkehrt sich jetzt ins Gegenteil: er treibt die Flüchtlinge in diese Verfahren erst hinein.