Das ist so meine Wahrnehmung

■ Gesichter der Großstadt: Der Schriftsteller Michael Wildenhain bastelte in drei Romanen mit am Mythos des Häuserkampfs / Heute sieht er alles mit mehr Distanz

Michael Wildenhain kommt mit kurzen Hosen, Turnschuhen und dunkelblau verwaschenem Kapuzenpullover ins überfüllte „Café Uebereck“ und erzählt noch ein bißchen, bevor er als Star des „Social-Beat-Literatur-Festivals“ eine eher trashige Social-Life-Geschichte liest. Den preisgekrönten Dichter prägte eine Zeit, in der Kreuzberg das vielbesungene Zentrum des Häuserkampfes, Ziel der heißen Sehnsüchte westdeutscher Teenager war, die ihr Glück in besetzten Häusern fanden oder denen die wirkliche Wirklichkeit ihrer autonomen Vorstellungen in aufregenden Schlachten mit den gemeinen Bütteln des Schweinesystems eingetrichtert wurde. So das Klischee, das Wildenhain mit seinen Romanen ein wenig auch mitbestimmte.

Ganz so tough, wie sich die Kämpfer auf der Straße gaben, waren sie nicht; auch der hübsche Satz „Ich lebe sooooo gern“ von Ute Scheub (in „Krawalle und Liebe“), der Bestseller „Tod eines Märchenprinzen“, selbst „Momo“ wurde eifrig von den nach außen hart sich gebenden Hausbesetzern, Revolutionären und Politpunks rezipiert; kein Wunder, ging es doch um „Gefühl und Härte“, wie das Graffiti an jeder Hauswand verkündete. Mit „Gefühl und Härte“ wirbt inzwischen die Firma Jeep für ihre toll individualistischen Autos, und auch Wildenhain, der mit seinem Erstlingswerk, dem Hausbesetzerroman „Zum Beispiel K.“, viele „nachgeborene 68er“ ob des Verzichts auf Sinnsuche schockierte, schaut etwas unverklärter zurück. Auf eine Zeit, die ihn in drei Romanen so sehr beschäftigte, daß sich die Zeit fragte, ob die „gepanzerten Lederjackenfreaks“ auf den 581 Seiten der „kalten Haut der Stadt“ nur deshalb „so heftig lärmend an der Kreuzbergfront herummarschieren (...), damit man das Schweigen eines verunsicherten Erzählers nicht hört, der sich an sein Thema klammert“.

Doch „das letzte Buch war die vorerst letzte Arbeit, die das zum Zentrum gemacht hat“, sagt der mittlerweile 35jährige Vater, der „schon ewig“ mit seiner Freundin zusammen ist, in einer WG am Chamissoplatz wohnt, von den anderen Dichtern der Stadt „fast überhaupt nichts“ mitkriegt und sein Informatikstudium abschließt. Der aktive Fußballer und Nichtraucher findet es „eher ein bißchen peinlich“, daß er in den Medien als prototypischer Szenekreuzberger, als Veteran der Hausbesetzerbewegung dargestellt wird. „Es gibt eben prägende Phasen, die fast alle Leute haben. Die dauern zwei Jahre oder fünf Jahre oder auch nur ein Jahr. In der Hausbesetzerzeit hat man über die Gesellschaft, in der man sich bewegt, ziemlich viel gelernt. Vor allem über ihre Latenz; über die Repression, mit der man in der Regel nicht konfrontiert ist.“

„Die konstruktiven Anteile dieser Zeit sind sehr idealisiert worden“, findet Wildenhain. „Das war ja auch ein Lernprozeß über das Nicht-erreichen-können der eigenen kollektiven Ansprüche. Wenn die Dinge den Bach runtergehen, zerbrechen die Kollektive. In den Zeiten des Aufbruchs scheint das, was man früher Klassenschranken genannt hat, überwunden. Doch wenn sich die Niederlage durchsetzt, verhalten sich die Leute wieder gemäß ihrer klassenspezifischen Sozialisation.“ Kreuzberg ist für ihn „nur ein Schlagwort. Für mich hat das nicht so 'ne zentrale Rolle gespielt, ich bin in Schöneberg aufgewachsen.“

Anfang der achtziger Jahre, als er sich für die Ostszene zu interessieren begann, hatte der Dichter ein DDR-Einreiseverbot. Die „Waldmaschine“, die er zusammen mit Sascha Anderson, Ralf Kerbach und Cornelia Schleime 1984 veröffentlichte, wurde deshalb „quasi konspirativ“ in der Tschechoslowakei zusammengestellt. „Kurz hinter der Grenze, in so einem kleinen Hotel.“

Beim Mauerfall hatte Wildenhain „von Anfang an ein schales Gefühl“. Dresden mag er zwar inzwischen, die Literaturwerkstatt in Pankow auch, doch trotzdem ist ihm der Ostteil der Stadt immer noch ein bißchen fremd: „Im Café Westphal hab ich mich letztlich so ähnlich gefühlt, wie ich mir immer vorstelle, daß sich die Touristen in den Reisebussen fühlen, die da um den Chamissoplatz gekarrt werden.“ Sentimental denkt er jedoch nicht ans alte Westberlin. „Ich finde, daß das früher ein bißchen matschig war; so ein selbstzufriedener Sumpf, der sich in sich drehte und jahrelang noch so weitergemacht hätte. Natürlich haben sich die politischen Verhältnisse in furchtbarer Weise verändert. In bezug auf Kreuzberg ist aber eine Normalisierung eingetreten, und das finde ich angenehm. Was Kunstprodukt war, ist einfach zerschmolzen. Das ist so meine Wahrnehmung.“ Detlef Kuhlbrodt