■ 24 Stunden vor der Flimmerkiste
: Grüne Versuchstierchen

Stuttgart/Berlin (AP/taz) – Nach ganztägiger Selbsterfahrung waren die Grünen von ihrer Aktion „Ich glotz TV – 24 Stunden nonstop durch die Welt der Mattscheibe“ erschöpft. Lediglich die frauenpolitische Sprecherin Brigitt Bender konnte sich am Samstag morgen noch zu ein paar gymnastischen Mitmach-Übungen beim Frühstücks-Aerobic aufraffen, während ihre männlichen Mitstreiter völlig ermattet vor den Flimmerkisten hingen. Ihr Durchhaltevermögen war dennoch beträchtlich: Nur eine Dreiviertelstunde hatten Fraktionschef Fritz Kuhn sowie die Abgeordneten Rezzo Schlauch, Michael Jacobi und Bender zusammengerechnet vor der Mattscheibe verpennt.

„Wir glauben, daß sich Politiker, die über Mediengesetze entscheiden, zuwenig mit der Medienrealität auseinandersetzen“, begründete Fritz Kuhn die Aktion, „weil sie alle nur selektiv fernsehen und eigentlich zuwenig von dem wissen, was wirklich im Fernsehen läuft.“ Genau das belegte schließlich der CDU-Fraktionschef Günther Oettinger, der sich für zwei Stunden, zwischen Western, Game-Show und Fußball zu den Grünen gesellte. Ungefragt gab er zu, daß er weder wisse, wie man in der Bundesrepublik einen Pay-TV-Sender mieten kann, noch selber regelmäßig private Stationen konsumiere. „Die, die für die medienpolitische Landschaft verantwortlich sind, die CDU, Kanzler Kohl oder Ministerpräsident Teufel, müssen sich endlich mit der gesellschaftspolitischen Dimension ihrer Beschlüsse befassen“, hofft Kuhn. In vielen Familien laufe der Fernseher bis zu fünf Stunden am Tag. „Darüber wollen wir uns nicht erheben oder uns lustig machen“, sagte auch Michael Jacobi, „aber wir wollen, daß endlich darüber geredet wird, was es zum Beispiel bedeutet, daß die Privaten schon ab kurz nach fünf Uhr morgens Kinderprogramme anbieten.“ Rezzo Schlauch stellte dagegen fest, daß „80 Prozent von dem, was wir gesehen haben, schlicht Schrott war“.

Einmal in den 24 Stunden haben die Probanden das aktuelle Programm unterbrochen, um ein Gewaltvideo dazwischen zu schieben. „Entsetzlich, widerwärtig, zum kotzen“, befanden die Dauerglotzer das im Stil von Reality-TV gedrehte Video, das authentische Hinrichtungen aus den USA zeigte. „Wenn die Menschenwürde und die Schamgrenze derart verletzt werden, muß der Gesetzgeber einschreiten“, sagte Jacobi. kn