: Der 500-Milliarden-Sieg
Knappe Zustimmung für Clintons Wirtschaftsprogramm im Kongreß / Steuererhöhung für Reiche, aber keine Energiesteuer ■ Aus Washington Andrea Böhm
Am Ende kam es genau zu dem Showdown, den Amerikaner so sehr lieben – zumindest im Film. Mit dem denkbar knappsten Ergebnis von 218 zu 216 Stimmen im Repräsentantenhaus und 51 zu 50 Stimmen im Senat hat Bill Clinton sein Wirtschaftsprogramm – oder das, was der Kongreß nach zahlreichen Änderungen übriggelassen hatte – durchgeboxt. Zuvor hatten der Präsident und seine Berater tage- und nächtelang auf demokratische Abgeordnete eingeredet, die angekündigt hatten, gegen das Paket stimmen zu wollen. Wenigstens in einem Fall, so die Washington Post, soll Clinton auch gebrüllt haben.
Adressat des Zornausbruchs war Bob Kerrey, demokratischer Senator aus Nebraska und im Vorwahlkampf Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur. Kerrey gab seine Opposition gegen das Wirtschaftspaket erst auf, als Clinton ausrief, daß seine Präsidentschaft auf dem Spiel stünde.
Was den Kampf um das Haushalts- und Wirtschaftsprogramm so zermürbend und zäh werden ließ, war der Umstand, daß Clinton auf keine „Dissidenten“ seitens der Republikaner rechnen konnte und so angesichts der knappen demokratischen Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses für Abgeordnete seiner eigenen Partei erpreßbar wurde. Mit der Drohung, ihre Zustimmung zu verweigern, erzwangen Senatoren wie Repräsentanten Zugeständnisse, um in erster Linie die Partikularinteressen ihrer Wahlkreise und Lobbygruppen zu befriedigen. Hinzu kommt, daß der Budgetentwurf laut Meinungsumfragen in weiten Teilen des Landes unpopulär ist – nicht zuletzt weil es der republikanischen Opposition gelungen ist, den Plan in der Öffentlichkeit als tax package abzuqualifizieren. Das Ziel der Defizitreduzierung werde mit viel zu vielen neuen Steuern und viel zu wenig Haushaltskürzungen erreicht.
Diese Darstellung ist parteipolitisch wirkungsvoll, faktisch aber schlicht falsch: Um 496 Milliarden Dollar soll das Defizit in den nächsten fünf Jahren reduziert werden. Nach dem nun verabschiedeten Plan werden 255 Milliarden Dollar unter anderem im Rüstungshaushalt, bei der Krankenversicherung für Arme und bei der Versorgung von Kriegsveteranen eingespart. 241 Milliarden Dollar sollen durch Steuererhöhungen in die chronisch leeren Staatskassen fließen – und somit die fortlaufende Verschuldung verlangsamen. Zur Kasse werden hier vor allem die Reichen gebeten. Für Einzelpersonen mit einem Jahreseinkommen von über 115.000 Dollar und Ehepaaren mit einem Jahreseinkommen von über 140.000 Dollar wird der Steuersatz von 31 auf 36 Prozent erhöht – und zwar rückwirkend zum 1. Januar 1993. Erhöht wurde auch der Steuersatz für die Sozialversicherungsbezüge von Senioren, wenn die durch zusätzliche Pensionen auf ein Jahreseinkommen von über 34.000 Dollar für einzelne oder 44.000 Dollar für Ehepaare kommen. Gleichzeitig sollen Steuererleichterungen in Kombination mit Sozialleistungen wie Lebensmittelmarken dafür Sorge tragen, daß Angehörige der unteren Einkommenschichten nicht unter die Armutsgrenze rutschen. Doch die dafür vorgesehenen Finanzmittel halbierte der Kongreß im Laufe der Verhandlungen ebenso wie die von Clinton vorgesehene Körperschaftssteuer für Unternehmen. Trotzdem kann Clinton in Anspruch nehmen, mit diesem Entwurf zumindest einige kleine Schritte zu einer Umschichtung gesellschaftlichen Reichtums unternommen zu haben.
Doch in der Frage der Besteuerung der amerikanischen Mittelschicht mußte Clinton die zweite einschneidende Niederlage nach der Demontage seines 16-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramms hinnehmen: Er scheiterte mit dem Vorschlag einer breitgefächerten ökologisch orientierten Energiesteuer. Durchsetzen konnte der Präsident am Ende nur eine vergleichsweise lächerliche Erhöhung der Benzinsteuer um 4,3 Cent pro Gallone (3,8 Liter). Die gemeinsame Kraftanstrengung und „Opferbereitschaft“, die Bill Clinton in seiner Rede an die Nation am 17. Februar noch so nachdrücklich beschworen hatte, beschränkt sich für die Mittelschicht nun auf 31 Dollar mehr fürs Benzin pro Jahr.
Selbst diese äußerst schonende Behandlung der mittleren Einkommensschichten ändert nichts daran, daß Clintons Wirtschaftsprogramm nun in weiten Teilen des Landes als Steuerpaket gehandelt wird. Dies, so befürchten Clinton-loyale Abgeordnete der Demokraten, kann seinen politischen Spielraum noch weiter einschränken – vor allem für die Gesundheitsreform, ohne die eine Haushaltssanierung nicht vorstellbar ist. Doch eine solche Reform will erst einmal finanziert sein, was wiederum ohne weitere Steuererhöhungen kaum vorstellbar ist. Die Auseinandersetzung mit dem Kongreß steht dem Präsidenten und seiner Frau Hillary, die er mit einem entsprechenden Entwurf betraut hat, im September bevor. Jetzt ist erst mal Sommerpause.
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