„Ich bin hier, um nach Sarajevo zu gehen“

■ Während die meisten Friedensmarschierer wieder nach Split zurückgekehrt sind, sitzen die hartnäckigsten in einem Lager in Südbosnien fest und wissen nicht mehr weiter

Die Stimmung im Lager ist bis zum Zerreißen gespannt. Seit Stunden wird im Camp vor Prozor debattiert und gestritten. Die knapp 500 in Südbosnien verbliebenen Demonstranten der internationalen Aktion „Mir Sada“ (Frieden jetzt) campieren seit Mittwoch vor den Toren der Stadt und können sich über Fortgang oder Aufgeben der Aktion nicht einigen.

Gehen wir zurück nach Split? Bleiben wir noch einige Tage hier und besetzen den Stützpunkt der UN-Blauhelme ganz in der Nähe, oder ziehen wir doch noch weiter Richtung Sarajevo? Aber an ein Weiterkommen ist nicht zu denken – zu stark sind die Kämpfe zwischen Kroaten und Muslimen nördlich von Prozor, die besonders in den Abendstunden immer wieder zunehmen.

Da platzt einem jungen Amerikaner der Kragen: „Ich bin hierher gekommen, um nach Sarajevo zu gehen, und das werde ich jetzt auch tun“, macht er unmißverständlich deutlich. Und er macht sich mit einer kleinen Gruppe von Landsleuten sowie einigen Kanadiern, Norwegern und Holländern auf in Richtung der 200 Kilometer entfernt liegenden bosnischen Hauptstadt – und das zu Fuß mitten durch das Kiegsgebiet. Auch zwei Frauen haben sich diesem Wahnsinnsunternehmen angeschlossen, das von den anderen im Camp nicht verhindert werden konnte.

Die in Prozor Zurückgebliebenen, darunter etwa 15 Deutsche, sollen aber jetzt um jeden Preis zusammengehalten werden – auch diejenigen, die wieder ins sichere Split an der kroatischen Adriaküste zurückfahren wollen. Es sind die Leute um den katholischen Priester Don Albino, Leiter der italienischen Abordnung der Gruppe „Die Friedensstifter“ und einer der Hauptorganisatoren von „Mir Sada“, die regelrechte Straßensperren aufbauen, um Rückkehrwillige an ihrem Vorhaben zu hindern.

Schließlich gelingt am Samstag doch drei Personenwagen und einem Bus die „Flucht“ aus dem Friedenscamp. Die „Mir Sada“- Demonstranten sind endgültig gespalten. Das wird auch in Split deutlich, wo die anderen von vornherein in der Küstenstadt gebliebenen oder dorthin zurückgekehrten Demonstranten auf einem Hügel am Rande der Stadt ihr Camp aufgebaut haben.

Ursprünglich hatten sich rund 3.000 Frauen und Männer aus 14 europäischen Ländern, den USA und Kanada dem geplanten Friedensmarsch nach Sarajevo angeschlossen. Nachdem der Marsch nach Sarajevo gescheitert war, wurden die Schwächen der Aktion von Tag zu Tag deutlicher. In der Vorbereitung hatten es die Organisatoren versäumt, Alternativen zu dem Demonstrationszug in die bosnische Hauptstadt zu durchdenken. Bis auf vereinzelte Mahnwachen von kleinen Gruppen in der Altstadt von Split oder an der bosnisch-kroatischen Grenze konnte man sich auf keine gemeinsame Aktion einigen. Wilhelm Kötting, Prozor (epd)