■ Serie Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes, Teil 7
: Der Staat als Gesamtkunstwerk

Nationale Selbstinterpretation mit den Mitteln der Kunst – ein Beispiel für die junge DDR findet sich in der Mitte Berlins an einem Gebäude, das bereits zwei Systeme überdauert hat. Die Nazis bauten das „in Stein gehauene Monument des wiedererwachten Wehrwillens des neuen Deutschland“ als Reichsluftfahrtministerium. In der DDR war der riesige Granitkasten „Haus der Ministerien“. Heute werden dort durch die „Treuhand“ die Überreste eben dieser ministeriellen Arbeit entsorgt. Es gibt Orte, an denen wird und wird nichts gut.

Der Faschismus, schrieb Walter Benjamin, betrieb die Ästhetisierung der Politik, der Kommunismus antwortete mit der Politisierung der Kunst. 1950 beschloß die Regierung der DDR, in der Pfeilervorhalle des Hauses der Ministerien ein Wandbild anbringen zu lassen. Drei Meter hoch und vierundzwanzig Meter breit wurde es am 3.1.1953, dem Geburtstag von Wilhelm Pieck, enthüllt. Sechs Fassungen legte der Maler Max Lingner vor, bis Ministerpräsident Otto Grotewohl mit dem Entwurf zufrieden war. Auf wetterfesten Meißener Porzellanplatten hatte der Künstler das Programm des Sozialismus ins Bild gesetzt: von den freudig demonstrierenden Massen bis zum Abgeordneten als Exponenten des Volkes, von der glücklichen Familie bis zum Händedruck zwischen Arbeiter und Intellektuellem, von der Schwerindustrie bis zur technischen Intelligenz.

Denkmal als Ersatzpolitik. Der Katalog zum Kunstwerk schilderte dies auf unnachahmliche Weise. Wir zitieren im folgenden aus dem Originaltext:

„Im Herzen der Hauptstadt Deutschlands, dort, wo täglich Menschen aus dem Osten wie dem Westen unseres Vaterlandes zusammentreffen, sollte auf monumentale Weise die Kunst zur Geltung kommen, um vom Inhalt unserer Arbeit zu künden und von den Quellen der Kraft. Das Wandbild sollte dazu beitragen, zu begeistern für den Aufbau des Sozialismus und zu bestärken im Kampf um die Einheit unserer Nation. Das Bild sollte also den typischen Inhalt unseres Lebens in allen wesentlichen Erscheinungen darstellen.

Ein solcher Auftrag hat programmatische Bedeutung, sowohl hinsichtlich seines Inhaltes, wie auch im Hinblick auf die Stellung der Kunst in der Gesellschaft. Er ist für Deutschland prinzipieller Art, da in der Deutschen Demokratischen Republik erstmalig das Volk selbst zum Auftraggeber seiner Kunst wurde. Das Bild spiegelt mit leuchtenden Farben, deren Skala vom satten Blau bis zum lodernden Rot des Ofens reicht, tatsächlich das neue Leben wider, das wir uns erarbeiteten.

Der Widerhall eines Werkes in der Öffentlichkeit, sein Beitrag zur Veränderung der Wirklichkeit im Interesse des Volkes, ist letzter Maßstab der künstlerischen Leistung. Denn der objektiv richtige Inhalt des Kunstwerkes, das ist ja ,die wahrheitsgetreue, historisch-konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung.‘ Im ersten Entwurf hatte der Maler der Bedeutung der Industrie, für die Entwicklung zum Sozialismus noch nicht ausreichend Rechnung getragen. Es fehlte auch eine Darstellung des fortschrittlichen Prinzips des demokratischen Zentralismus. Alle sechs Fassungen diskutierte der Ministerpäsident ausführlich mit dem Maler. Wie dankbar der Künstler für die Hinweise war, zeigt sein Brief an Otto Grotewohl: , ...Ich kam mir vor wie ein Sportler, der nach den Anweisungen eines erfahrenen Trainers endgültig seine Form gefunden hat ...‘.

Der sechste Entwurf, der nun auch schon Bauten ähnlich denjenigen der Stalinallee und das Walter-Ulbricht-Stadion zeigt und damit jene maximale Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse andeutet, die den Sozialismus kennzeichnen, wurde im Januar 1952 dem Ministerrat vorgelegt und fand dessen Zustimmung. Damit hat Max Lingner einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Kunst geleistet. Denn ihr Weg aus dem Formalismus heraus, hin zu einer lebensvollen, dem Volke dienenden und der Nation verbundenen neuen Haltung ist durch das Wandbild auf monumentale Weise bestätigt und gefördert worden.“ Bascha Mika

Am Donnerstag: Das verbrannte Haus der Familie Arslan in Mölln