: Bewährungsstrafe wegen Kindestötung
■ Strafkammer legte Gesetz zugunsten der Mutter aus und schuf damit Präzedenzfall / Staatsanwalt empfiehlt Revision
Zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wurde gestern die 29jährige Mutter verurteilt, die im Oktober letzten Jahres ihre neugeborene Tochter Maren erstickt hatte. Obwohl die Anklage auf Totschlag gelautet hatte, wurde Raphaela F. wegen Kindestötung verurteilt, was ein deutlich niedrigeres Strafmaß ermöglichte. Zudem schätzte die 31. Große Strafkammer den Fall als minder schwer ein, da die Angeklagte leicht geistig behindert ist, und „um der besonderen Vorgeschichte Rechnung zu tragen“.
Ungeklärt blieb, ob die ledige Gärtnerin ihr Kind wie anfangs ausgesagt wenige Stunden nach der Geburt mit einem Kopfkissen erstickte oder ob sie es rund 20 Stunden später lebend im Hof vergrub, wie sie im Prozeß erklärte. Doch selbst dann sei davon auszugehen, daß sich die Angeklagte noch in der „besonderen Erregungsphase“ befunden habe, die durch die Geburt hervorgerufen werde, schloß sich der Vorsitzende Richter Bernd Miczajka der Gutachterin Anneliese Ermer an. Rechtsanwältin Ulrike Kolneder- Zecher hatte auf die Anwendung des Paragraphen 217 Strafgesetzbuch hingearbeitet, der für Kindestötung eine Mindeststrafe von drei Jahren vorsieht, während Totschlag mit Haft „nicht unter fünf Jahren bestraft“ wird. Zudem ermöglicht der für ledige Mütter geltende Paragraph, „in minder schweren Fällen“ die Dauer auf sechs Monate zu reduzieren. Bislang war er nur angewandt worden, wenn Kinder ein bis zwei Stunden nach der Geburt getötet wurden.
Doch überraschend plädierte auch Staatsanwalt Uwe Liedtke für eine Verurteilung wegen Kindestötung. Liedtke zur taz: „Die Gutachterin hat deutlich gemacht, daß die schwangerschaftsbedingte Erregung im Einzelfall drei Tage dauern kann.“ Er forderte vier Jahre und drei Monate Haft, da es sich nicht um einen minder schweren Fall gehandelt habe.
Das bedeute nicht, „daß die Tat nicht schrecklich genug ist“, widersprach Kolneder-Zecher in ihrem Plädoyer: „Das heißt, daß die Gründe für eine Minderung überwiegen.“ Nach Einschätzung der Anwältin hatte ihre Mandantin bereits „negative Folgen“ durch die Geburt ihres ebenfalls nichtehelichen Sohns David erlebt. Da die leicht Behinderte geständig sei und Reue zeige, forderte sie „Mut zu einem Strafmaß, das Bewährung möglich macht“. Wichtig sei, der Angeklagten „eine Bewährungshelferin, mit der Betonung auf -in, zur Seite zu stellen“.
Mit dem Urteil folgten die Richter diesem Antrag vollständig. Sie verwiesen besonders auf die emotionale Kälte im Elternhaus von Raphaela F.: „Das tragische Schicksal der Kindesmutter“ zeigte der Kammer nach Ansicht von Miczajka „wieder einmal, wie frühe Erziehungsfehler dazu beitragen, daß Menschen später straffällig werden“. Von der Angeklagten forderte Miczajka, „daß sie sich aus der selbstgewählten Isolation herausarbeitet“. Staatsanwalt Liedtke kündigte gegenüber der taz Revision an. Christian Arns
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