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: Keine Widerrede

„Zur Sache, Kanzler!“, Mo., 22.15 Uhr, Sat.1

Der Bundeskanzler wendete sich an ein Mikrophon und sagte: „Der Bundeskanzler bin ich.“ Keine Widerrede. Die Kulissen stehen fest wie deutsche Eichen. Der Bundeskanzler mit seinem Mikrophon in seiner Kulisse am Wolfgangsee. Rustikal. Im Hintergrund Holztäfelung, bauernmalerisch bestickte Vorhänge, Zinnteller und, ja richtig, drei Gesprächspartner, die von Zeit zu Zeit Stichworte räuspern. Für eine konservative Mehrheit (Michael Rutz von Sat.1 und Manfred Geist von Die Welt) ward gesorgt.

Kiebitzhaft machte als einziger Widersacher Dieter Schröder von der Süddeutschen Zeitung vorsichtige verbale Ausfälle, schnell sprechend, damit er gleich wieder aus der Reichweite von Kanzler Goliath kam und nicht getroffen werden konnte. Beim Kanzler haben alle Berührungsängste. Der redet ja auch unaufhaltsam wie ein Güterzug und greift sogar Eierwerfer eigenhändig aus der Menge heraus. Kein David mit der Murmel in Sicht.

So kam Helmut Kohl in Fahrt wie selten: „Wenn Politik nicht mehr vernünftig ist, müssen wir aufhören.“ Allemal: keine Widerrede. Der Herr Bundeskanzler ist unschlagbar. Sogar die Kamera, die anfangs ein paar vorwitzige Schlenker vollführt hatte, steht jetzt andächtig stramm. Es ist wie bei einem Sieg von Bayern München.

Der Name der Sendung „Zur Sache, Kanzler!“ ist sehr optimistisch. Denn das mit der Sache ist so eine Sache bei unserem Bundeskanzler. Seine bevorzugte Aussageform ist so sehr homonymisch, daß die Sache, sachlich gesehen, tautologisch („ausländische Gastarbeiter“) – und somit beliebig wird.

Da der Sinn auf dieser televisuellen Dada-Veranstaltung ein marginales Phänomen blieb, traten andere Phänomene in den Vordergrund, die eher den Verhaltensforscher interessieren. Auf der akustischen Ebene war der Bundeskanzler tonangebend. Versuchte ein anderes Männchen, ihm in die Parade zu fahren, so grunzte er ihm nach kurzer Zeit ins Wort, so daß wir statt einem Dialog (Rede und Gegenrede) so lange nur Gemurmel hörten, bis daß der Herr Bundeskanzler wieder alleine redete.

Mein Musiklehrer pflegte immer zu sagen: „Wir können im Chor singen, aber nicht im Chor sprechen.“ Bei „Zur Sache, Kanzler!“ spricht nur einer. Manfred Riepe