Angst vor den „Normalen“ haben alle

Homosexualität wird in Rumänien mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft / Behördenwillkür und die Ächtung der Gesellschaft zwingt Schwule und Lesben, sich zu verstecken  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Gleich zu Anfang sagt der Psychologe: „Also ich möchte betonen, ich bin heterosexuell, das heißt, ich liebe Frauen.“ Er sagt das, nachdem der Moderator ihn als Experten vorgestellt und dann die erste Frage an ihn gerichtet hat. Die Frage betraf keineswegs die sexuellen Neigungen des Experten. Aber um nur ja keine „Mißverständnisse“ aufkommen zu lassen, bringt der Psychologe schnell noch an, wie normal er ist.

Die Sendung des staatlichen Kanals SOTI über Homosexualität am 3. August ist eine Premiere im rumänischen Fernsehen.

Der Moderator stellt Fragen und hakt immer wieder nach. Der Psychologe bemüht sich mit einfachen Erklärungen: „Sehen Sie, das kommt in der Natur vor. Es gibt keine endgültigen wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber. Ich versichere Ihnen, es sind ganz normale Menschen.“ In den letzten 45 Jahren sei in Rumänien nicht viel über Sexualität gesprochen worden, es habe immer nur geheißen, „na los, machen wir Kinder“.

Zwischendurch ein Werbespot. Eine nackte Frau wirbt für ein Duschgel. Sie spreizt sich mit entblößten Brüsten vor der Kamera. Ihr Freund im aufgeknöpften Hemd beschaut sie zufrieden lächelnd. Dann geht die Sendung weiter. Die Regie spielt einen kurzes Interview mit einem Schwulen ein. Der sitzt mit dem Rücken zur Kamera, seine Stimme klingt verfremdet. Der Reporter fragt ihn, wie das denn das so sei, ein Mann mit einem Mann, welche Gefühle er dabei habe.

Die Zuschauer können anrufen. Es gibt wichtigere Probleme zu lösen als die Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten, empört sich ein Anrufer. Ein anderer empfiehlt den Homosexuellen die Lektüre des Neuen Testaments. Ein dritter Anrufer konstatiert kühl: „Schwule und Lesben sind eine Gefahr für die Gesellschaft. Man müßte sie umbringen.“

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Homosexuelle werden zwar in Rumänien nicht umgebracht, aber sie kommen ins Gefängnis. Zwischen 40 und 60 Schwule befinden sich zur Zeit in Haft. Offensichtlich aber keine Lesben. Die genaue Zahl verschweigen Justizministerium und Strafvollzugsbehörden. Paragraph 200, Absatz 1, des rumänischen Strafgesetzbuches ahndet „sexuelle Beziehungen zwischen Personen desselben Geschlechtes“ mit Haft von einem bis zu fünf Jahren. Theoretisch reichen Indizien oder ein Bekenntnis, homosexuell zu sein, aus, um eine Untersuchung einzuleiten.

Mitarbeiter der Justizbehörden behaupten, nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu im Dezember 1989 seien alle nach Paragraph 200 Verurteilten im Zuge einer Amnestie freigelassen worden. Paragraph 200, Absatz 1, sei zwar noch in Kraft, werde aber nicht mehr angewandt. Tatsächlich verfolgen die Behörden Homosexuelle jedoch noch immer, wenn auch wesentlich weniger streng als vor 1989. Meist bedienen sie sich dabei eines Tricks: Niemand der gegenwärtig Inhaftierten oder Angeklagten wurde allein nach Paragraph 200, Absatz 1 belangt. In allen bekannten Fällen zogen Polizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und bei der Klageerhebung Absatz 2 hinzu: sexuelle Beziehungen mit Minderjährigen. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international betreut eine Reihe rumänischer Gefangener, die aufgrund ihrer Homosexualität im Gefängnis sind, und wirft den Behörden vor, Betroffene bei der Untersuchung gefoltert und Geständnisse nach Absatz 2 erpreßt zu haben. In mehreren Fällen hätten Gefangene widerrufen, jemals Sex mit Minderjährigen praktiziert zu haben.

Ohnehin gehen die Behörden weitaus laxer vor, wenn Personen heterosexuelle Beziehungen mit Minderjährigen haben, vor allem Männer mit Mädchen. Sie werden gar nicht oder nicht im gleichen Maße verfolgt. Beschuldigt werden die rumänischen Behörden auch, nichts gegen systematische Verletzungen der Rechte von inhaftierten Schwulen zu unternehmen. Gefangene beklagen sich in Berichten, die nach außen gedrungen sind, unter anderem darüber, daß sie aufgrund ihrer Homosexualität von Mitgefangenen und Wärtern geschlagen und sexuell mißbraucht werden.

Doch Homosexuelle leben in Rumänien nicht nur mit der ständigen Angst vor gesetzlich legitimierter Behördenwillkür. Sie sind auch, wie Dan Anghel sagt, „gesellschaftlich vollkommen marginalisiert“. Der 32jährige hat in Bukarest an der Schauspielhochschule studiert, als Tänzer gearbeitet, emigrierte 1986 nach Deutschland und kam 1990 wieder nach Rumänien zurück. Er ist einer von zwei Schwulen im ganzen Land, die sich auch öffentlich zur Homosexualität bekennen. „Bevor ich wußte, daß ich schwul war“, erzählt Dan, „traf ich mich mit Mädchen, obwohl sie nicht besonders anziehend auf mich wirkten. Ich schämte mich, daß es sexuell nicht klappte. Schließlich gestand ich mir ein, daß ich schwul bin. Meine Freunde auf der Künstlerschule dachten, ich sei normal. Wir gingen abends in Diskotheken oder Bars, ich war nie mit einer Frau da. Dadurch fühlte ich mich isoliert. Einigen Freunden habe ich erzählt, daß ich schwul bin, einige haben es akzeptiert, andere haben sofort den Kontakt mit mir abgebrochen. Ich finde das nicht besonders tragisch. Das sind Leute, die nicht wissen, was Homosexualität bedeutet, sie sind nicht informiert, sie glauben, daß das ein Verbrechen ist.“ Nur Dans Eltern und seine Schwester haben bis heute nicht „davon“ erfahren, und werden es hoffentlich auch nicht. Und wenn doch? „Dann wäre es ein großer Schock für sie.“

„Nachdem ich die Welt der Homosexuellen kennengelernte“, sagt Dan, „habe ich gesehen, daß sie gequält und inhaftiert, psychisch und physisch erniedrigt und erpresst werden, keine Rechte mehr haben. Ich dachte, irgend jemand muß für sie etwas tun. Denn jeder hat ein privates Intimleben, dessen Schutz die Verfassung garantiert.“ So kam Dan zur „Unabhängigen Rumänischen Gesellschaft für Menschenrechte“ (SIRDO), wo er in der „Kommission für die Rechte sexueller Minderheiten“ arbeitet. Schwulen- oder Lesbenorganisationen gibt es in Rumänien nicht: Sie zu gründen, ist illegal.

Neben Dan ist der Journalist Ion Razvan, der ebenfalls in der Kommission arbeitet, der einzige Rumäne, der sich auch vor Fremden oder vor Fernsehkameras nicht scheut zu sagen, daß er schwul sei. Der einzige Grund, warum die Behörden gegen die beiden offiziell noch nicht vorgegangen sind, liegt vermutlich darin, daß die Inhaftierung von Menschenrechtlern mit weitreichenden internationalen Kontakten äußerst negativ für Rumäniens ohnehin schlechtes Auslandsimage ausfallen könnte. Doch Dan berichtet von anonymen Drohanrufen, die seiner Meinung nach von der Securitate, dem rumänischen Geheimdienst, kommen.

Außer der SIRDO-Komission gibt es noch einen Verein, der sich „Gruppe 200“ nennt. Seine Mitglieder kämpfen für die Abschaffung des Paragraphen 200. „Bei uns“, so heißt es auf Nachfrage bei Pressekonferenzen zurückhaltend, „arbeiten auch Homosexuelle“. Prominente, die sich mit ihrer Stimme und ihrer Autorität zur Homosexualität bekannt haben, gibt es in Rumänien nicht. Es gibt nicht einmal heterosexuelle Prominente, die sich für Homosexuelle einsetzen.

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Zwar hat der Europarat, dessen Mitgliedschaft Rumänien seit langem vergeblich anstrebt, dem Land vor kurzem inoffiziell nahegelegt, den Paragraphen 200 abzuschaffen. Doch entsprechend der bisherigen Praxis des Gremiums müßte das rumänische Parlament lediglich eine Willenserklärung abgeben.

Eine Vorbedingung ist die Aufforderung des Europarates nicht. Laszlo Zsigmond, Abgeordneter des Verbandes der ungarischen Minderheit in Rumänien (UDMR), glaubt, daß sich die Abschaffung des Paragraphen noch Jahre hinziehen könne. Außer einem UDMR-Fraktionskollegen ist Zsigmond der einzige, der sich im Parlament für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzt. „Versprechungen, den Paragraphen abzuschaffen“, erklärt Laszlo Zsigmond, „hat es von seiten der rumänischen Behörden immer wieder gegeben. Doch die allermeisten Abgeordneten denken, daß diese Leute nicht normal sind. Und das sagen sie auch offen.“

Nicht viel anders sehen das auch die meisten rumänischen Medien. Nach der Verlautbarung des Europarates Anfang Juli fragte eine Bukarester Zeitung: „Müssen wir alle homosexuell werden, um nach Europa zu kommen?“ Unter einer elfzeiligen Nachricht über die Lage der Homosexuellen in Rumänien, die in der Zeitung Tineretul liber (Die freie Jugend) erschien, stand zu lesen: „PS: Die Autoren der Nachricht gehören nicht zu ,jenen‘.“ Und die Zeitung Ora (Die Zeit), berüchtigt für rassistische Berichterstattung über Zigeuner, titelte zu einer Schwulen-Reportage: „Die Verdammten, die allein leben – Wir haben uns entschieden, ein wenig Licht in das Labyrinth dieser Art von sexueller Perversion zu bringen.“

Verdammt, so meinte Ora in dem Artikel, dem ein Zitat aus dem Alten Testament vorangestellt war, seien Homosexuelle durch ihre abartigen Triebe. Verdammt werden Homosexuelle in Wahrheit von der Gesellschaft. Kein Schwuler will seinen Namen, seine Tätigkeit oder seinen Arbeitsplatz veröffentlicht sehen – sie fürchten, das könne zu einer Identifizierung beitragen. Nicht der einflußreiche rumänische Unternehmer mit Kontakten zu führenden Politikern, nicht der ausländische Geschäftsmann, der gerne eine Schwulenbar aufmachen würde, nicht der Kellner in einem Bukarester Restaurant. So unterschiedlich sie sind, eines vereint sie alle: Die Angst vor den „Normalen“.

Stellt sich heraus, daß jemand homosexuell ist, brechen Familien den Kontakt ab, erstatten Nachbarn bei der Polizei Anzeige, kündigen Arbeitgeber. Weder in der Provinz noch in der Hauptstadt Bukarest gibt es Restaurants, Bars oder einfach Räume, wo sie sich ungestört und ohne Angst treffen können. An Sommerabenden versammeln sie sich im Halbdunkel der Parks. Im Winter drücken sie sich in Kinos und auf öffentlichen Toiletten herum.

Auf dem Bukarester Opernplatz und in dem nebengelegenen Park, einem der bekanntesten Schwulentreffpunkte, stehen abends kleine Gruppen von Schwulen. Auch Lesben kommen angeblich her. Doch zu sehen sind keine. „Die leben noch viel isolierter als wir“, sagt einer der Herumstehenden. Zwei Mutige schlendern Arm in Arm von Grüppchen zu Grüppchen. Einer spielt die Tunte. Die andern sind „normal“, wie alle anderen „Normalen“ auch, die die Parks bevölkern. Passanten, die ihre Hunde spazieren führen, machen einen Bogen um die Schwulen.

Es geschieht nicht viel. Sie unterhalten sich achselzuckend über den kleinen, erbärmlichen Alltag, der das Leben zum Spießrutenlauf macht. „Wenn meine Mutter wüßte, daß ich nicht normal bin“, lacht ein junger Typ, „das gäbe einen Skandal.“ Manche Schwule regen sich auf über die schwulen Zigeuner und Araber. Manche staunen über den schwulen schwarzafrikanischen Studenten, der hier öfter auftaucht. Hier ein schüchterner Kuß, da verschwindet einer in die Büsche. Die Bürger, sagen sie, pöbeln, wenn sie uns hier sehen, die Polizei hält sich in der letzten Zeit zurück, aber wir kriegen es jetzt mehr mit den Hooligans zu tun, die uns verprügeln wollen. Im Café neben dem Park gaffen die Leute geil und angeekelt, wenn zwei Männer sich an einen Tisch setzen.