Mit einigen Litern Diesel zur Operation

■ Besuch im Kosovo-Krankenhaus in Sarajevo / Es fehlt schlicht an allem

Sarajevo (taz) – Im Kosovo- Krankenhaus in Sarajevo sind die Flure dunkel und staubig, die Bettlaken dreckig, und die Toilettenspülung funktioniert nicht mehr. Die meisten Operationskandidaten werden wieder weggeschickt, wenn sie nicht selber Dieseltreibstoff für die Krankenhausgeneratoren mitbringen. Die Zustände in dem Klinikkomplex mit 38 Abteilungen, wo einst 2.000 Patienten täglich behandelt wurden, haben nach 16 Monaten serbischer Belagerung einen Tiefpunkt erreicht.

Am vergangenen Freitag hatte das Krankenhaus nur etwa 113 Liter Diesel für den Tanklastwagen zur Verfügung, der täglich losfährt, um Wasser für die Grundversorgung der Klinik zu besorgen. Es gibt, so der Leiter Nain Kadić, keinen Verbandsmull mehr. In der Chirurgie, in der an manchen Tagen Dutzende von verletzten Zivilisten behandelt werden, sind die noch funktionierenden Sterilisationsgeräte wegen Strommangel meist außer Betrieb. Auch der holzbefeuerte Sterilisationsapparat, der von einem Spender aus Sarajevo zur Verfügung gestellt wurde, steht still. Das Krankenhaus hat kein Brennholz mehr. „Holz kostet 250 Dollar pro Kubikmeter“, erklärt Kadić. „Wir befinden uns in dem fast dramatischsten Stadium der Krise“, fügt er hinzu. Die Klinik hat seit drei Wochen keine Treibstoffzuteilungen erhalten und kann sich bei Preisen von 40 Dollar pro Liter auch nicht auf dem Schwarzmarkt versorgen. Sie verfügt weder über Strom noch Erdgas oder fließend Wasser.

Ein Fall unter vielen: Am Vortag kam ein Mann mit einer schweren Schußverletzung in die Klinik, um sich operieren zu lassen. „Wir teilten ihm mit, daß wir keinen Strom haben“, sagt Stationsarzt Faruk Kulenovik. „Aber er hatte Glück, weil Freunde von ihm Hilfe anboten. Sie brachten 36 Liter Treibstoff und ihren eigenen kleinen Generator mit. Daher können wir jetzt vier Operationen durchführen.“ Der Klinik mangelt es auch an Treibstoff für Beatmungsgeräte und die Ausrüstung für den EKG-Monitor, der für die Behandlung von Patienten mit Kopfverletzungen unverzichtbar ist. „Ein Patient, der ein Beatmungsgerät benötigt, ist zum Tode verurteilt“, so Kulenovik. Wegen mangelnder Möglichkeiten zur künstlichen Beatmung sind in den letzten drei Wochen drei Patienten gestorben. In der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, die über einen eigenen Stromgenerator verfügt, müssen nach Angaben der Ärztin Jadranka Dizdarević Frauen, die eine Abtreibung vornehmen wollen, Wasser mitbringen, damit das Krankenhauspersonal die Instrumente sterilisieren kann. Immer mehr Frauen aus Sarajevo lassen abtreiben: 250 im letzten Monat, wogegen nur 100 Kinder geboren wurden. Von den Geburten fanden 15 unter abnormen Umständen statt: sechs oder sieben Frühgeburten, Totgeburten, Fehlgeburten oder Kinder mit Geburtsschäden – eine weitaus höhere Zahl als vor dem Krieg.

„Ich werde bis zum Ende kämpfen. Aber wir beginnen, uns verlassen und hilflos zu fühlen“, sagt Klinikleiter Kadić. Auf seinem Schreibtisch thront ein teures und nutzloses Andenken an internationale Hilfeleistungen: ein Satellitentelefon, das die nordrhein-westfälische Landesregierung für Notfälle spendete. Das Telefon steht unbenutzt herum. „Wir haben nie zugesagt, die Betriebskosten zu übernehmen“, erklärt Thomas Gorys von der Staatskanzlei in Düsseldorf. Er erklärt, daß der Elektrogigant Siemens 10.000 Dollar für Gebühren gestiftet habe. Als das Geld ausging, habe die Deutsche Bundespost die Leitung stillgelegt. Er habe keine Ahnung, ob die Verbindung wiederhergestellt würde. Roy Gutman