„Die Leute wissen nicht, wohin sie gehen sollen. Freiwillig wird niemand zurückkehren“

■ Interview mit Bosiljka Schedlich vom Berliner Südosteuropazentrum zu drohenden Abschiebungen nach Ex-Jugoslawien: „Keine andere Alternative als ein Asylantrag“

taz: Nach einer neuen Weisung des Berliner Innensenats sind rund 10.000 Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien von Abschiebung bedroht. Andere Bundesländer schieben schon nach Kroatien, Serbien und Slowenien ab. Was erwartet die Abgeschobenen in ihrer Heimat?

Bosiljka Schedlich: Für die Slowenen ist es abgesehen von der schwierigen wirtschaftlichen Situation am einfachsten. Sie sind weder direkt noch indirekt in den Krieg involviert. Bei den Kroaten ist die Situation noch genauso wie vor einem Jahr, als sie hergekommen sind. Die berechtigten Gründe, aus denen man ihnen vor einem Jahr eine Duldung erteilt hat, gelten heute noch genauso. Die Situation hat sich sogar noch zugespitzt, weil die Gefahr besteht, daß Krieg in der Krajina ausbricht. Die rückkehrenden Männer werden mit Sicherheit an die Front geschickt. Dasselbe gilt besonders für die serbischen Flüchtlinge. Bei den Männern, die aus Serbien geflüchtet sind, handelt es sich vor allem um Deserteure, die nicht an den Verbrechen teilnehmen wollten. Zeugen berichten uns, daß die jungen Männer, sobald sie aus dem Zug oder Flugzeug steigen, sofort an die Front geschickt werden. In Makedonien werden gerade Blauhelme stationiert, weil man ein Ausbrechen des Krieges befürchtet. Da ist es absurd, jetzt Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken. Ganz besonders müssen auch die Roma geschützt werden, die auch ohne Krieg verfolgt werden, aber in der Kriegszeit besonders gefährdet sind. Kritisch ist auch die Lage für die Flüchtlinge aus Kosovo, wo im Moment massenhaft serbische Flüchtlinge aus Bosnien und Krajina angesiedelt werden und die Albaner vertreiben.

Nun sagen einige Bundesländer nicht ganz zu unrecht: in weiten Landesteilen Kroatiens herrscht kein Krieg. Manche Menschen machen dort Urlaub. Warum dorthin nicht Flüchtlinge zurückschicken?

Kroatien ist zu einem Drittel besetzt. Mindestens 40 Prozent der Industrieanlagen sind zerstört. Kroatien hat bei 4,5 Millionen Einwohnern 750.000 Flüchtlinge aufgenommen. Für die Flüchtlinge aus Deutschland müßte man zusätzliche Unterkünfte und Gelder organisieren. Das belastet diesen Staat noch mehr und führt dazu, daß die Spannungen unter den Flüchtlingen dort steigen. Es gibt bereits jetzt Konflikte zwischen den muslimischen und kroatischen Flüchtlingen aus Bosnien, die in denselben Flüchtlingscamps und Hotelanlagen in Kroatien untergebracht sind. In dieser Situation würde eine Verschärfung der wirtschaftlichen Lage Kroatiens zu zusätzlichen Spannungen innerhalb der Bevölkerung führen.

Ist es nicht vorstellbar, daß etliche der Rückkehrenden tatsächlich wieder in ihre Heimatorte zurückgehen?

Diejenigen, die geflüchtet sind, hatten ihre Gründe für die Flucht. Sie haben zum größten Teil keine Bleibe, in die sie zurückkehren könnten. Viele sind aus den besetzten Gebieten geflüchtet und können dorthin gar nicht zurück. Es macht doch keinen Sinn, Menschen gegen ihren Willen abzuschieben und sie dann auf dem Flugplatz oder dem Bahnhof stehen zu lassen.

Einige Innenminister sagen, die kroatische Regierung selbst habe den Wunsch nach einer Rückkehr der Flüchtlinge geäußert. Die Heimkehrer sollten beim Wiederaufbau des Landes helfen.

Ich fände es wunderbar, wenn das stimmte, wenn der Wiederaufbau tatsächlich beginnen würde. Aber die Situation ist nicht so. Ich komme gerade aus Split in Dalmatien. Dort haben die Leute gerade ihre letzten Reserven ausgegeben. Die Bevölkerung kann den Wiederaufbau nicht beginnen. Wenn der Staat das Geld hat, fände ich das großartig. Aber er hat es nicht.

Auf welche Reaktionen ist die Weisung des Berliner Innensenats unter den Flüchtlingen gestoßen?

Die Leute sind verzweifelt und wissen nicht, wohin sie gehen sollen. Die meisten wollen kein Asyl, aber jetzt haben sie gar keine andere Alternative als den Antrag.

Freiwillig zurückkehren wird also niemand?

Nein, ganz eindeutig nein.

Interview: Vera Gaserow