O Cop voll Blut und Wunden

■ Neu im Cinema: „Bad Lieutenant“, eine Orgie des Allbösen für Meßdiener wie uns

Wir Katholiken müssen geradezu an den Hl. Christophorus denken, wie er damals das Jesuskindlein durch die Fluten getragen hat; denn dieser hier, der trostfernste von allen kaputten Cops, wie er nackt und bloß vor uns zum Himmel winselt, dieser muß wahrhaftig den Teufel tragen.

Abel Ferraras Film „Bad Lieutenant“, das ist die höllenschwefligste Unheiligenlegende, die man sich denken kann. Ja wir dürfen diesen Endzeitbullen regelrecht braten sehen: einen dummgefixten, korrupten Mistkerl ohne Partner auf der Jagd nach Crack und Geld und Resten von Sex und mehr noch nach der Gnade des Todes; einen Schweinehund, der wie sonst nur ein Märtyrer tausend Qualen leidet.

Und Harvey Keitel in der Hauptrolle erspart uns rein gar nichts: nicht das Walken und Wüten der Leere in seinem Gesicht, nicht das Wegdröhnen des Süchtigen nach dem Schuß, nicht das erbarmungswürdige Abwichsen am Auto der zwei ausgebüchsten Mädels. Alles malt er aufs Grausigste aus, ohne daß es uns groß was hülfe: Zu seinem Lieutenant gibt es keinen Zutritt mehr; wir verbleiben gebannt in einem relativ kalten Entsetzen. Man könnte fast sagen: Er spielt uns an die Wand.

Von dieser Gestalt geht denn auch alle Beunruhigung des Filmes aus: In ihr verliert das grundböse Subjekt noch das letzte bißchen Täterwürde. Es hat in all den schmutzigen Straßenschluchten und Lasterhöhlen, in denen sich das Filmleben erschöpft, einfach nichts mehr zu gewinnen, wenn man mal von des Lieutenants lausigen Baseballwetten absieht oder von den paar tausend Dollar Fangprämie für die Kerle, die die junge (!) Nonne (!) mit dem Kruzifix (!) vergewaltigt (!) haben.

Hier ufert der Film vollbewußt aus in eine Orgie, wenn nicht Epiphanie des grenzenlos Allbösen; da wird er dermaßen theatralisch, daß uns ehemalige Meßdiener doch ein gewisser Argwohn beschleicht. Stellenweise hat Ferrara, der alte Independent-Filmer, sein Werk regelrecht vollgestopft mit den Reliquien des Lasters und der Verderbnis, mit Müll und Dreck und Spritzbesteck.

Auch der Schnitt grenzt ans kunstvoll Besinnungslose: Zwar jagt der Cop von Anfang bis Ende seinem bißchen Traum von der gewonnenen Baseballwette hinterher, aber der irre Soundtrack aus Radioübertragung und Polizeifunk ist das letzte, was die Geschehnisse noch zusammenhält. Die Blicke auf die sichtbare Welt folgen schon gar keiner Geschichtslogik mehr: Sie fallen wie regellos ineinander. Die Schnitte kommen zu früh oder zu spät; einmal zerhacken sie nur noch die immergleiche Einstellung, eine Amokfahrt übrigens, was die größte Sünde gegen den Handwerkskodex ist. Da wackelt, mit andern Worten, die ganze Filmarchitektur aus Schuß und Gegenschuß und Gut und Böse.

Da treibt also einer womöglich mit allem sein trashmäßiges Spielchen, und spätestens, wenn der Gekreuzigte persönlich erscheint, weiß man nicht mehr, was hier noch Hohn ist und was schon wieder erzkatholische Trivialitätsbesoffenheit, und befürchtet letzteres. Denn selbst die vielen banalen Opfer der Gewalt kriegen bei Ferrara einen Stich ins Opferlämmerhafte, so wenig interessiert sich der Regisseur für Gesichter und so sehr für besudelte Körper.

Das Höllische entschwände oft vollends ins Schauderhafte, wenn es nicht der großartige Keitel immer wieder hervorquälte: Sein gräßliches Jaulen wird in die Filmgeschichte eingehen; er hält mitten in einem sonderbaren Film die Größe des Verfluchten durch.

Man verrät also wirklich kein Geheimnis, wenn man preisgibt, daß der Cop am Ende aufs Unwürdigste weggepustet wird wie nichts. Man verrät schon ein bißchen mehr, wenn man sagt, daß die Szene mitten in New York auf offener, belebter Straße gestellt wurde: mit versteckter Kamera. Manfred Dworschak

Tägl. 21 Uhr, Cinema (Original mit Untertiteln)