Die Tibeter „umerziehen“

■ Nach antichinesischen Protesten schickten die Behörden 1.700 Soldaten gegen die Dorfbevölkerung und die Mönche

Berlin (taz) – Mit eiserner Hand versucht die chinesische Regierung weiterhin, jegliche Proteste der tibetischen Bevölkerung zu unterdrücken – und zu verhindern, daß die Außenwelt davon erfährt. Ein Bericht über die Strafaktion des chinesischen Militärs in einer Gruppe von Dörfern etwa 45 Kilometer südlich der tibetischen Hauptstadt Lhasa erreichte in diesen Tagen das in London ansässige Tibet Information Network (TIN).

Diesen Informationen zufolge war es im Kreis Kyimshi in der Nähe von Langthang, in dem sich das Kloster Sungrabling befindet, Ende Mai zu Demonstrationen gegen die chinesische Besetzung gekommen. Einen Monat später hätten 1.700 Soldaten den Ort umzingelt und bewaffnet Stellung auf den Berghängen bezogen, die das Dorf überblicken. Die Wohnungen der TibeterInnen seien durchsucht worden, und jedes Haus werde von Soldaten bewacht. Bis zum 5. Juli seien 35 Personen aus dem Dorf und den nahe liegenden Klöstern Sungrabling und Dunbu Choskor festgenommen worden.

Auslöser für die Proteste waren die Wahlen auf Dorfebene (Xiang), bei denen die neue Dorfchefs bestimmt werden sollten. Das Ergebnis der Wahlen sei von den chinesischen Behörden von vornherein festgelegt, heißt es in der tibetischen Bevölkerung. Die Politik der chinesischen Zentrale ziele darauf ab, jetzt auch auf unterster Verwaltungsebene tibetische Funktionäre durch Chinesen oder handverlesene tibetische Beamte zu ersetzen, meinen Beobachter. Die Tibeter befürchten, daß damit eine Ansiedlung durch zugewanderte Chinesen auf dem Lande vorbereitet werden soll. Bislang ist die vom Dalai Lama, dem religiösen und politischen Führer der Tibeter im Exil, wiederholt beklagte massive Zuwanderung von Han-Chinesen vor allem in Lhasa und anderen Städten erfolgt.

Nach Informationen der tibetischen Exilregierung in Nordindien sollen vier Mönche Poster mit der Erklärung „Wir brauchen keinen von den Chinesen ernannten Führer, unser Führer ist seine Heiligkeit, der Dalai Lama“ angebracht haben. Eine Wahlversammlung am 29. Mai hätte sich zu einer Kundgebung für die tibetische Unabhängigkeit entwickelt. „Befreit Tibet“, „Tibet gehört den Tibetern“ und „Lang lebe das freie Tibet“ hätten einige Mönche gerufen, heißt es in dem Bericht aus Kyimshi.

Die örtliche Polizei sei auf diese Ereignisse nicht vorbereitet gewesen, und die Dorfbevölkerung habe zunächst sogar einige Personen befreien können, die zuvor festgenommen worden waren. Am 31. Mai sei eine Untersuchungskommission zum Kloster Sungrabling geschickt worden. Doch die Mönche verweigerten ihnen den Zutritt. Tags darauf versuchten 200 Polizisten, die Mönche zu verhaften. Sie wurden aber von der Dorfbevölkerung mit Barrikaden daran gehindert, sich dem Kloster zu nähern.

So verlegten sich die Behörden auf eine eher Erfolg versprechende und in den chinesischen „Umerziehungskampagnen“ häufig erprobte Strategie: Sie schickten ein sogenanntes Arbeitsteam, das am 2. Juni zum Kloster kam. Das Team bestand aus einem Lastwagen voller Parteimitglieder aus anderen Kreisen. Diese beriefen Versammlungen ein und erkundigten sich nach den Sorgen der DorfbewohnerInnen und Mönche – und fanden so heraus, wer die Dissidenten vor Ort waren. Vier Wochen später, am 28. Juni, rückten 57 Lastwagen mit 1.700 Soldaten ins Dorf. In der folgenden Zeit habe es Nacht für Nacht Festnahmen gegeben. Viele Verhaftete seien schwer mißhandelt worden. Die DorfbewohnerInnen baten in ihrem Bericht die UNO um Hilfe. li