Im Takt des Herz- und Nervenflatterns

■ Ein Gespräch mit der Schlagwerkerin Robyn Schulkowsky, zu Gast beim Festival „Women in (E)motion“

Robyn Schulkowsky, wie sie leibt...Fotos: Tristan Vankann

Wenn Sie durch eine Stadt gehen, hören Sie im Großstadtlärm überall ein Percussionkonzert?

Robyn Schulkowsky: Das hängt von meinem jeweiligen Arbeitszustand ab. 1987 habe ich ein Stück von Charles Ives ausgegraben, die „Universe Symphony“. Das ist für 20 verschiedene Schlagzeugstimmen, die alle gleichzeitig spielen, alle in unterschiedlichen Taktzahlen. Wenn ich danach in der Natur war oder auf einer Kreuzung in New York oder im Flugzeug saß — immer habe ich später irgendwie eine Pulsation oder sowas gespürt, die mit diesem Stück zu tun hatte. Das war so ein Schlüsselerlebnis. Wenn du solche Impulse als Störfaktor empfindest, dann wirst du gestört. Aber wenn du dich aufmachst und sagst: Ah ja, das paßt ganz gut, da haben wir ja einen Rhythmus oder ein Crescendo — dann kannst du eigentlich alles machen.

Läßt sich denn jeder Gegenstand als Percussion-Instrument benutzen?

Das ist wahrscheinlich weniger interessant.

Sie verwenden doch auch Sachen, die Sie auf der Straße oder auf dem Schrottplatz finden.

Ja, natürlich. In London habe ich jetzt bei einem Festival gespielt, und da stand eine Leiter herum. Die habe ich angespielt, um herauszukriegen: Wie klingt das? — Klang fürchterlich. War überhaupt nicht interessant. Aber dann, beim letzten Konzert, habe ich mir plötzlich zwei dicke Stöcke gegriffen, bin gegen diese

hierhin bitte das

Foto von der Frau mit

mittellangem Haar

Leiter gerannt und habe die Leiter gespielt — es war fantastisch. Nicht weil die Leiter sich verändert hat, sondern der Moment und die Musik haben auf einmal dazugepaßt. Das hängt immer vom Moment ab — wenn der stimmt, wird es ein interessanter Klang und könnte auch Musik werden. Sonst bleibt es nur eine Leiter.

Sie haben gesagt: „Percussion gab es und gibt es in jeder Gesellschaft und in jeder Kultur“. Was ist denn die grundlegende Erfahrung, die uns die Trommeln vermitteln?

Ich mag da gar nicht drüber sprechen.

Warum nicht?

Ach, es klingt dann immer so heilig oder mystisch. — Das Grundlegende, das ist der Puls. Jeder Mensch hat einen Puls, den er mit sich trägt — das Herz; ein anderer Puls ist das Nervensystem, das auch pulsiert und flattert. Und darüber trägt jeder seinen eigenen Rhythmus mit sich.

Ist es hier dennoch schwieriger als zum Beispiel in Korea oder Japan, wo Sie ja schon aufgetreten sind, Percussion als Solo-Instrument durchzusetzen?

Es war eigentlich nie meine Absicht oder meine Aufgabe, das durchzusetzen. Meine Absicht war es, da selbst etwas rauszukriegen für meine Arbeit. Ich geh nicht rum und schüttle die Leute und sage ihnen: „Sie müssen jetzt Solo-Schlagzeug anhören, Sie müssen diese Trommel hören!“ oder sowas. Für mich ist es ein ganz privates Ding. Wenn ich nicht in der Öffentlichkeit auftrete, mache ich auch die besten Erfahrungen für mich. Das versuche ich natürlich auch, zu vermitteln: Daß eine Sache bei mir nie ganz fertig ist. Es ist immer noch etwas anderes möglich. Ich sehe Kunst eher als Prozeß, nicht als Produkt.

Wissen Sie denn schon, mit welchem Instrumentarium Sie am Freitag auftreten?

Das meine ich mit Prozeß: Hundertprozentig weiß ich erst beim Aufbauen, was ich spiele. Natürlich ist man da beim Schlagzeug nie so frei. Wenn ich die Zuckerdose nicht mitnehme, hab– ich sie am Abend zum Konzert eben nicht dabei.

hierhin bitte

das Foto von der

Frau, die nach

oben schaut

...und lebtFoto: TV

Wie entscheiden Sie denn, was Sie aus ihrem 150-Quadratmeter-Studio alles nach Bremen mitnehmen?

Die Instrumente sagen von sich aus: „Nimm mich mit!“, und die kommen dann auch mit. Und die Instrumente, die nicht sprechen, bleiben eben daheim. Ansonsten haben ich ganz viele Noten mitgebracht. Je nachdem, was am Abend paßt. Ich kenne ja den Raum im Überseemuseum noch nicht. Vielleicht ist er groß und hoch und hallig. Dann stell' ich alles hin und probier es aus, und das merkst du halt beim Spielen, was gut klingt. Ich bin ja auch eine sehr trommelorientierte Person, da muß ich irgendwelche Trommeln finden, die da stimmen. Ohne Trommeln kann ich fast kein Konzert spielen. Damit kann ich lauter spielen als ein Orchester oder eine Rockband, aber auch leiser als alle anderen Musiker. Ich spiele nur Naturfell, und da gibt so ganz verrückte Punkte, wo du die gesamte Obertonreihe rauskitzeln kannst. Das weiß natürlich niemand. Oder nur ganz wenige. Dazu braucht man nur eine einzige, große Trommel. Das ist einfach, was ich mache. Schrecklich primitiv, nicht wahr? Fragen: Thomas Wolff

Robyn Schulkowsky gibt heute, 21 Uhr, ein Solokonzert im Überseemuseum