Chef, ein Fax aus Abidjan

■ Die Gruppe Le Zagazougou von der Elfenbeinküste mit Bewegungssouffleur und Akkordeon bei den Heimatklängen

Ein guter König muß omnipräsent sein. Wo immer in seinem Reich etwas Aufregendes passiert — er wird als erster davon wissen. Christoph Borkowskys Reich ist die Welt und ihre Musik. Auch ein König der Weltmusik hat aber nur zwei Ohren, die meist nur an einem Ort etwas hören können. Zuwenig, um ein Festival wie Heimatklänge zu organisieren. Deshalb leiht Borkowsky eins seiner Ohren Akbar, dem Großen.

König Akbar nun reist rund um die Uhr rund um die Welt. Unsereins erlebt bei Abstechern in fremde Erdecken Taxifahrer in Litauen, die (1993!) stolz Boney M. in den Rekorder drücken, lauter drehen und dem Fahrgast zurufen: deutsche Musik, gut!

Taxi fährt auch König Akbar, denn Taxifahrer wissen immer Bescheid. Bei seiner Fahrt durch Abidjan, Hauptstadt des westafrikanischen Staates Elfenbeinküste — Akbar wollte zur ersten Messe afrikanischer Kunst MASA — legte der Chauffeur ein Tape der Band Le Zagazougou ein. Sie fuhren durch Trashville, einen Vorort Abidjans, Akbar war noch leicht benebelt von den tiefen Zügen aus einer Wasserpfeife, die ihm jemand im Schummerlicht des Flughafenrestaurants gereicht hatte. Der Fahrer erzählte, die Band käme aus Soubre, einer Stadt im Norden der Elfenbeinküste. Die Sängerinnen sängen überwiegend in Dioula, etwas über den Straßenstrich in Soubre. Ob er verstehe.

König Akbar verstand weder die Texte noch die weitschweifigen Erzählungen des Mannes, der Französisch sprach. Er nickte. Ihm gefiel die Handbewegung des Fahrers, der sacht die Hand nach oben bewegte, wenn er am Lenkrad des alten Peugeot vom zweiten in den dritten Gang schaltete. Die Musik war nicht aufdringlich, nicht hektisch zum Tanz animierend, sie paßte zu seiner nebligen Stimmung, zum Blick durch die schmutzigen Scheiben des Autos. Eigentlich wollte Akbar ja den Altstar des Landes, Alpha Blondy, zu dem Festival seines Kollegen Borkowsky in Berlin schicken. Jetzt aber überlegte er, ob er nicht lieber Le Zagazougou einladen sollte. Die aber hatten noch nie in Europa gespielt, hatten noch nicht keine Platte außerhalb ihrer Heimat verkauft. Ein Faxgerät war im Messegewusel schnell gefunden: „Neuentdeckung Le Zagazougou, alle Taxifahrer begeistert!“

Wenige Minuten später fällt das Papier aus dem Fax im Büro von Borkowsky, der gerade dabei ist, drei neue Festivals aus der Taufe zu heben. „Wir müssen ganz Berlin und Umgebung mit Heimatklängen zupflastern, im nächsten Jahr kaufe ich diesem Schwenkow die Waldbühne weg, der wird sich auch noch wundern...“ „Fax aus Abidjan, Chef“, ruft Katarina, die Neue von der Presseabteilung. „Ist der wieder in Indien unterwegs, um mir irgendwelchen Schrott anzudrehn?“ „Nein Chef, der ist doch in Afrika, Ihr nächstes Festival vorbereiten!“ „Welches denn?“ Aus einem anderen Zimmer des Haifisch-Labels ruft es gehetzt: „Wenn die noch keine Platte raushaben, können wir ihnen doch eine produzieren!“

Monate später im Tempodrom. Am Plattenstand liegt eine Art Not-CD der Band aus, die gerade auf der Bühne steht; im Schnelldurchlauf hergestellt. Binda N'Gazolo, Manager von Le Zagazougou wirft die Arme herum, gestikuliert aus dem Bühnengraben in Richtung Musiker. Er ist der „producteur artistique“ der zehnköpfigen Band. Eine Art Choreograph, der sich als Bewegungssouffleur versteht. „Alle tanzen auf mein Kommando“ scheint aber auch die Devise des „director artistique“ Abou Ouatt zu lauten. Der zerrt recht unsanft am Arm einer Sängerin, als sich diese zur Publikumsanimation in hypnotisierend kreiselnde Tänze einstimmt, und das auch noch direkt vor dem Artdirektor. Der Macho gewinnt, die Sängerin kehrt, wenn auch mit gefrorenem Lächeln, zurück in die zweite Reihe, um mit einer Kollegin den Chef zu umgarnen.

Das Timing der Band scheint am ersten Abend noch nicht recht eingestimmt auf die starren Lärmverordnungszeiten. Um kurz nach 24 Uhr hat Schluß zu sein. Auch wenn Le Zagazougou quasi unplugged (Modemusikwort '93!) auftreten, es gibt Nachbarn, die sich auch kilometerweit entfernt noch vom Klang einer Trommel gestört fühlen. Vielleicht sogar vom Sound der Akkordeonspieler, von denen es bei Le Zagazougou gleich mehrere gibt.

Das Akkordeon ist das quasi historische Rückgrat ihrer Musik. So weht ein Hauch von Cajun und Zachary Richard aus New Orleans rüber, wo sich, wie an der Elfenbeinküste und doch wieder wo ganz anders, Franzosen ansiedelten. Die Kolonialisten brachten neben Seuchen, Christentum und Ausbeutung auch das Akkordeon nach Afrika. Die Eltern der Musiker von Le Zagazougou spielten noch französische Chansons auf dem Instrument. Rudimente dieser Tradition findet der Musikethnologe bei den Nachfahren. Vermischt mit diversen Trommeln und dem Gesang vom Leben in den Vorstädten Abidjans, ergibt sich ein Sound, der spielerisch mit dem kolonialen Erbe umgeht.

„,Zagazougou‘ bedeutet eine Mischung aus vielen Farben, etwas sehr Buntes“, erzählt mir ein Musiker nach dem Konzert. Das ist vielleicht die afrikanische Antwort auf Multikulti-Beauftragte bei uns. Mit dem feinen Unterschied, daß hier endlich einmal die Europäer – wenn auch nur zaghaft – kulturell ausgebeutet werden. Andreas Becker

Le Zagazougou spielen heute und morgen um 21.30, am Sonntag um 16 Uhr bei den Heimatklängen im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten.