Leben auf dem Holzbrett

Das Skateboard: Modern, radikal, lifestylemäßig, aber reine Männersache / Für einige geht es um das „Feeling“, für andere um Geld  ■ Von Holger Jenrich

Münster (taz) – Egon Linden paßt so überhaupt nicht ins Klischee. Er trägt gediegenen Zwirn statt XXL-T-Shirt und Bermudashorts. Er entwickelt Computersysteme statt für die Schule zu pauken. Er ist 43 Jahre alt statt 18. Und doch Skateboardfahrer aus Leidenschaft.

„Skaten“, schwärmt Egon Linden, „heißt Spaß von der ersten Minute an. Man stellt sich einfach aufs Brett und fährt los.“ Sich beim Brötchenholen die eigene Wendigkeit und Schnelligkeit zu beweisen, ist für den Kölner allmorgendliches Vergnügen. Und ein wenig auch berufliche Weiterbildung: Egon Linden ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Kommission Skateboard im Deutschen Rollsportbund (DRB).

In Deutschlands heimlicher Skaterhauptstadt Münster veranstaltete der DRB gemeinsam mit der US-amerikanischen National Skateboard Association vergangene Woche die offizielle Skate- Weltmeisterschaft. Etwa 100 Skateboard-Professionals aus 20 Ländern – darunter Brettl-Spezialisten aus Brasilien, Neuseeland und Slowenien – wetteiferten in den Disziplinen Halfpipe und Streetstyle um Weltmeistertitel und Geldpreise von maximal 3.000 DM. „Im Skateboarding wird mit dem Geld längst nicht mehr so geaast wie noch vor Jahren“, sagt Maria Brunneke, Pressereferentin der mit der WM-Organisation betrauten Sport Marketing Organisation (SMO), „die Teilnehmer müssen sogar noch ein Startgeld von 50 Dollar bezahlen“.

Weltmeister Tony Hawk aus den USA, der sich als „König der Lüfte“ ein geschätztes Jahreseinkommen von 250.000 DM gönnt, bezahlt einen solchen Obolus aus der Portokoasse. In der Bundesrepublik sind die Verdienstmöglichkeiten für Skater bescheidener. Von den rund 1,7 Millionen Deutschen, die sich mittels eines 55 bis 90 Zentimeter langen, 15 bis 25 Zentimeter breiten und auf vier Rollen mit jeweils 40 Millimeter Durchmesser montierten Holzbrettes durch die Welt bewegen, lebt ein knappes Dutzend mehr oder weniger üppig von den Fahr- und Akrobatikkünsten.

Für eine dreitägige Mini-Ramp- Show in Würzburg hat der Hamburger Jan Waage (20), einer von sechs deutschen WM-Teilnehmern, die Spitzengage von 1.300 DM kassiert: „Klasse sowas, aber leider sehr selten.“ Sein Kollege Ralf Middendorf aus dem westfälischen Greven bessert sein Gehalt als Zivildienstleistender im evangelischen Jugendcafé durch eine eigene Board-Kollektion auf. „100 bis 200“, schätzt der in der von End-Teens beherrschten Skater- Szene fast schon als „Gruftie“ verulkte 25jährige, „kann ich monatlich von Brettern mit meinem Namen absetzen. Und zwar weltweit.“

Möglich macht derartige Geschäfte ein gelernter Studienrat. Titus Dittmann gilt als Großmogul der Skate-Szene. Der 44jährige Münsteraner, der Europas größter Im- und Exporteur in Skateboards und entsprechender Bekleidung ist, veranstaltet Performance- Shows und Weltmeisterschaften. Er gibt seit 1982 das Monster Skateboard-Magazin heraus, Europas führende Fach-Postille und nach dem US-Titel Thrasher der Welt zweitälteste Skate-Gazette. Und er hat Studenten der örtlichen Universität sowie Schülern der Gesamtschule Kamen statt Geräteturnen das Skaten beigebracht. „Skateboards“, sagt Titus Dittmann, „haben einen enormen Aufforderungscharakter. Ähnlich wie ein Ball: Da kann auch niemand vorbeilaufen, ohne dagegenzukicken.“

Die Frage, ob Skaten für Schulsport und Jugendarbeit geeignet sei, hat Dittmann in seiner Staatsarbeit wissenschaftlich untersucht und mit Ja beantwortet. Konsequenz: Der sozialistische Jugendverband „Die Falken“ hat die „Red Line Skates“-Gruppe aus der Taufe gehoben. Weil, so Titus Dittmann, Skaten „modern, radikal, lifestylemäßig“ sei. Was Christian Heitmann aus Hamburg bestätigt. Für den 18jährigen Handelsschüler, jüngster deutscher Teilnehmer bei der Skate-WM, ist Skateboardfahren mehr als nur Sport: „Da geht's nicht nur ums Brett. Da geht's um die Leute drumrum und das Feeling.“

Ein Feeling, das fast ausschließlich Männern vorbehalten ist. Frauen gibt es beim Skaten nur als Zuschauerinnen – auf WM-Brettern steht in der Halle Münsterland nicht eine einzige Frau. Maria Brunneke sieht die weibliche Abstinenz darin begründet, daß es auf der Rampe oder in der Halfpipe „auch mal die eine oder andere Schramme“ gibt. Volker Rittner, Professor an der Sporthochschule Köln, meint dagegen, die traditionelle Gymnastik habe sich geschlechtsspezifisch unterschiedlich entwickelt: „Was Skateboard für den Mann, ist Aerobic für die Frau.“

Nicht jeder Mann allerdings wagt auf dem Brett die Tricks und Kunststückchen, die Ralf Middendorf, Jan Waage und die anderen „Rebellen auf Rollen“ so halsbrecherisch vorführen. Egon Linden zum Beispiel, der wie die Veteranen der Szene ursprünglich Surfer war und erst später den Baggersee mit der Straße vertauscht hat, liebt es altersbedingt gemächlicher: „Ich kann gar nicht so fahren, wie es die Kids machen.“