Minister for Mittelstand

Dieter Gorny, Initiator und Impresario der Medienmesse „PopKomm“, über Schmierstoffe, Soundtankstellen und die Zukunft popmusikalischer Kleinunternehmen. Mit dem „Mediamann des Jahres 92“ sprach  ■ Thomas Groß

Altius, citius, fortius: Ab kommenden Donnerstag wird im Kölner Congress Centrum Ost wieder die Branchen-Messe „PopKomm“ (Untertitel: „Die Messe für Popmusik in Deutschland“) stattfinden, und wenn der Troß von Label-Betreibern, A&R-Managern, Journalisten und Musikern am Sonntagabend abgezogen sein wird, hofft man, die MIDEM in Cannes mit ihren ca. 8.500 Fachbesuchern endlich übertrumpft zu haben. „Macher“ des ehrgeizigen Palavers ist Dieter Gorny, 39, abgeschlossener Kompositionsstudent und „Mediamann 92“. Seit 89 ist er „Managing Director“, seit letztem Jahr offizieller Geschäftsführer der „PopKomm“-GmbH, die sich als „Gesellschaft zur Förderung von Musik- und Kommunikationstechnologie“ versteht.

Zum Anfang ein Gorny-Zitat: „Dazu beizutragen, daß die Musik auch weiterhin ihren Hörer erreicht, darum geht es auf der PopKomm 93.“ Das hört sich so an, als hätte man in der Branche Angst, die Hörer nicht mehr zu erreichen...

Ich denke, daß man sich vor dem Hintergrund sozialer und medialer Entwicklung klarmachen muß, daß zwischen denen, die die Kreativität brauchen, um Musik zu erfinden, und denen, die sie konsumieren, die Transportsysteme immer zentralisierter werden, daß das, was wir Musikindustrie nennen, immer mehr eingeht in ein globales Entertainment-Netz. Wenn man in diesem Zusammenhang dafür kämpfen will, daß die Musik noch ihre Hörer erreicht, muß man dafür kämpfen, daß eine möglichst breite musikalische Vielfalt überhaupt noch die Chance hat, realisiert zu werden.

Das diesjährige Motto der PopKomm heißt ja auch: „Kreative Impulse für den Markt“. Was für ein Begriff von Kreativität liegt dem zugrunde?

Im Vorfeld sind wir immer wieder auf Leute aus der Branche gestoßen, die gesagt haben: „Kreativität“ – das ist wie Töpfern und lila Latzhosen anhaben, ich bin professionell! Unsere Grundidee dagegen war: Musik wird immer mehr zum Schmierstoff für Konsumbotschaften –, ob das legitim ist oder nicht, man kann es nicht ändern. Wenn ich das aber umdrehe, dann könnte man auch sagen: Wenn der Schmierstoff nicht da ist, dann gibt's 'nen Kolbenfresser. In der Instrumentalisierung der Musik steckt ja auch die potentielle Erkenntnis, daß es ohne Instrument nicht läuft. Das ist natürlich jetzt einigermaßen abstrakt, aber wenn ich wieder an die eigentliche Idee komme, kann ich vielleicht ein paar Impulse geben in das, was man Markt nennt.

Ist es denn kreativ, wenn Volkswagen und Genesis kooperieren, um ihr Produkt auf dem Markt besser zu plazieren?

Das ist durchaus eine kreative Marketing-Kampagne. Volkswagen hat erkannt – im Sinne dieser Schmiermitteltheorie –, wieviel Pop mit Lebensgefühl zu tun hat. In gewissem Sinn ist es ja ein Irrtum zu glauben, Pop wäre Musik. Wenn man das als Benutzeroberfläche nimmt, kann man seine Konsumbotschaft sehr emotional, sehr kundenbindend transportieren. Wir bei der PopKomm wollen unter dem Stichwort „Kreativität“ allerdings weg von den Großen und in die kleinen Zellen rein. Man muß etwas für die Kleinen tun, und man muß langsam erkennen, daß da Würfelspiele laufen, die so global sind, daß, wenn wir nicht lernen mitzuwürfeln, alles von dem, was wir erhalten wollen, untergehen wird.

Was kann man denn für die Kleinen tun?

In erster Linie mal: eine vernünftige Mittelstandspolitik. Den Kleinen klarmachen, daß ihr großer Vorteil darin besteht, musikalisch vorzudenken, und dadurch Gesellschaft künstlerisch auf den Punkt zu bringen, ohne daß das gleich nationenweit nivelliert würde auf ein allverträgliches Stimulanz. Das Problem bei den Kleinen ist, daß diese Wechselwirkung zwischen Medium, Musik und Technologieentwicklung – DCC, Mini-Disc, diese ganzen Szenarien von Computerentertainment-Stations, wo ich mir meine Musik selber reinhole –, daß sie in dieser progressiven Entwicklung aus einem ganz sonderbaren Grunde plötzlich nicht mehr mitdenken. Sie sagen nicht: wir haben die musikalische Zukunft, also spielen wir auch mit der Technik rum, wir sind die kreativen Hacker. Sie bleiben auf einmal stehen und hauchen einem veralteten Tonträger eine Ideologie ein. Das ist eine ganz gefährliche Form von Nostalgie, denn gerade solche Leute müßten noch weiter vorne sein, müßten jetzt schon an Alternativnetzwerken knüpfen und mit der Technologie umgehen, die morgen bei Nintendo in Serie geht.

Das ist wohl ein romantischer Impuls, der sich der Optimierung von Kreativität verweigert und sich dafür eine Metapher sucht: das Vinyl.

Im Grunde ist das aber popwidrig. Pop nimmt Stellung zum Hier und Jetzt. Natürlich will das in der Kultur keiner hören, wenn etwa in Berlin das Schiller Theater dicht gemacht wird, aber man muß doch festhalten: Die Profite, die im Bereich Popmusik gemacht werden, sind in erster Linie angloamerikanische Profite. Wir müssen sehen, daß solche wichtigen Industrien auch in Deutschland Arbeitsplätze erhalten und schaffen. Ich habe es immer unerhört gefunden, daß in der Kulturpolitik die Tatsache, daß Leute aus dem Popbereich kein Fördergeld kriegen, dazu benutzt wurde, um sie inhaltlich als „kommerziell“ abzulehnen. Das Definieren von Kultur kann doch heute nicht mehr davon abhängig sein, ob und wieviel der Staat da reinsteckt! Es kann auch nicht so laufen wie bei der Filmförderung, wo irgendwelche Leute entscheiden, welches Produkt gefördert wird oder nicht. Also muß ich ganz nüchtern sagen: das ist Kulturwirtschaft. Ich bin fest überzeugt, daß ich dadurch Kultur sichern kann. Ich seh' das ja in Nordrhein-Westfalen. Und ich seh' das umgekehrt in Berlin, wo die Form der Rockförderung der Szene eher schadet.

Wie das?

Weil de facto alle Leute, die in so einem Großstadtgefüge Musik produzieren, Wirtschaftsbetriebe sind. Wenn ich das reduziere auf eine Form jugendlicher Sozialisation, eine – böse gesagt – Horde 200 über E-Gitarrenspiel sich sozialisierender Jugendlicher, dann schaff' ich rockmusikalische Biotope. Ich ziehe ein paar nette Musiker hoch, und drumherum bricht die ganze Landschaft zusammen, weil ich nicht erkenne, daß das Wesentliche dieser Kultur ist, daß sie, nimmt man sie ernst genug, von alleine läuft.

In diese Richtung gehen ja auch die Bestrebungen, einen deutschen Rocksender nach MTV-Vorbild zu etablieren. Wie weit ist das gediehen?

Der Sender steht, und ich denke, er wird „Viva“ heißen. Die Verträge sind unterschrieben, der Sitz ist in Köln, Ende des Jahres wird es losgehen.

Wer gibt das Geld?

Polygram, EMI, Time/Warner und Sony.

Welche Rolle spielt die PopKomm dabei?

Wir als PopKomm haben uns des Projektes angenommen, weil wir uns gesagt haben: Musik als audiovisuelles Medium braucht auch die Kommunikationsstätte Fernsehen. MTV ist da keine, das ist bloß Reinpumpen angloamerikanischer Musik in den europäischen Markt. Wenn wir nun so einen Sender in Deutschland anschieben, dann zeigt das erstmal: es geht nicht um Sparten, es geht um ein Politikum. Natürlich kann es passieren, daß die entscheidenden Leute später sagen: So, jetzt spielen wir nur noch Michael Jackson. Ich kann dann zwar sagen: Das war nicht der Deal, aber es wird immer diese Problematik da sein von einerseits Geld verdienen und Quoten machen und andererseits inhaltlichen Ansprüchen. Grundsätzlich mach' ich mir da nichts vor.

Was soll denn im besten Fall laufen auf dem Sender?

Im besten Fall wird das ein über Musik definiertes jugendliches Programm sein, Popmusik eben. Die Pläne sagen: 30 bis 35 Prozent nationales Produkt...

Also Grönemeyer, Wolf Maahn?

Von Grönemeyer rauf bis Poems for Layla runter...

Und noch weiter runter?

Na, ich hoffe das! Das hängt ja sehr davon ab, wie das gefüllt wird, wer da wirklich dran ist, und mit welchem Sendungsbewußtsaein da Sendung gemacht wird. Aber ich bleibe dabei: Wenn das Privatfunk ist, ist der auch privat finanziert, und dann kann man wiederum nur durch allerlei Wechselwirkungen einen Sog erzeugen, in dem ein bestimmtes Produkt, das man wichtig findet, nach oben kommt. Wir hätten dieses Problem ja übrigens gar nicht, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich seiner Aufgabe bewußter wäre. Aber dort neigt man eben dazu, quotenfremd Musik immer nur stilistisch zu definieren, zu sagen: Jazz ist Kultur, Klassik ist Kultur, der Rest ist keine.

In Klassik machen Sie ja demnächst auch...

Viel Energie ist in diesem Jahr in die Planung des Projekts KlassikKomm geflossen, das übrigens genau in die Schiller-Theater-Debatte reinkracht. Die Schließung als solche ist ja ein politischer fake, weil sie die Probleme solch einer Kulturförderung nicht beseitigt, sondern nur verlagert. Der eigentliche Spareffekt ist wohl weitaus geringer als der angestrebte Symboleffekt. Für mich ist die Tatsache, daß man sich in der Hauptstadt traut, an so was ranzugehen, aber ein deutliches Zeichen dafür, daß die Definition der herkömmlichen Strukturen für das, was man Kultur nennt, bröckelt. Ich finde die Schließung richtig, weil sie endlich mal das Verändern von Gesellschaft und das Verändern von Strukturen, das man ja politisch immer so gerne benutzt, um Stahlwerke zu schließen und Arbeitsplätze zu streichen, in den direkten Kulturbereich reinbringt. Vielleicht ist das eine Chance, Kultur wieder realitätsnäher zu gestalten und nicht immer als bewahrenden Status quo zu sehen. Es geht ans Eingemachte. Man muß loskommen von der Vorstellung, Kunst wäre etwas Ornamentales. Kunst ist Wirtschaft, und das heißt: Kunst muß man emanzipiert und selbständig sehen.

Das fleischgewordene Paradigma dieser Kultur im E-Bereich ist doch eine Figur wie Justus Frantz.

Nein, eben nicht. Auch das ist ornamentale Funktion, auch das ist ja ein Forsetzen der These, Kunst wäre etwas neben dem Alltag, etwas, das den Schmutz von der Seele wäscht und weihevolle Zustände erzeugt. Daß das Ganze sich wirtschaftlich trägt, widerspricht dem nicht, es ist eben populistisch. Ich finde es wichtiger, daß die Sachen ein Forum finden, die es schwerer haben am Markt.

Was wäre das denn auf dem E- Musiksektor?

Neue Musik. Dann auch Oper, aber in einer Form, die mit dem Jetzt zu tun hat. Komponisten, alte, neue, alles, was rausgeht aus diesem Interesse am Status quo. Es ist nicht einzusehen, warum Spitzenorchester mit der Privatwirtschaft Schallplattenverträge machen und trotzdem Millionen aus dem Staatssäckel kriegen. Ich konnte übrigens noch nie so aggressiv und intensiv über Kunst reden wie mit dem Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen.

Der Minister wird ja auch dieses Jahr wieder als Schirmherr und Vorwortschreiber der PopKomm in Erscheinung treten. Sehen Sie sich selbst als eine Minister for Tomorrow, ein Ossi Urchs des Pop?

Ich plapper doch nicht für die Zigarettenindustrie, nein. Ich sehe aber die Arbeit, die wir machen schon als eine Art Zukunftsplattform.

(Siehe auch Medienseite 14)