■ Auf die Plätze, fertig, los!: Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft gibt's den ersten Verlierer: Stuttgart muß ein Loch von mindestens 13 Millionen Mark stopfen
Auf die Plätze, fertig, los!
Auf die Plätze, fertig, los: Heute abend fällt mit der Eröffnungsfeier im Gottlieb-Daimler-Stadion der Startschuß für die vierte Weltmeisterschaft der Leichtathletikgeschichte. Aber bevor der erste Athlet den Zielstrich überqueren wird, steht der erste Verlierer bereits fest: die Stadt Stuttgart, die als Ausrichter für das Defizit geradestehen muß, während der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV), der Veranstalter, gleich neben dem Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) auf dem Treppchen steht. Die Sportfunktionäre haben die Kommune meisterhaft abgezockt, deren Loch in der Haushaltskasse um mindestens 13,1 Millionen Mark größer gemacht. Laut jüngster Spiegel-Recherchen sind es gar 22 Millionen. Was aber die Verantwortlichen vor Ort heftigst dementieren.
Die konkreten Zahlen wird uns wohl auch in zehn Tagen, wenn das ganze Spektakel zu Ende ist, keiner vorrechnen können oder wollen. Die Tendenz jedoch ist klar: Satt werden insbesondere Funktionäre und Verbände, darben aber müssen die meisten Athleten und die Ausrichter, ausgerechnet die sonst in Geldangelegenheiten so knitzen Schwaben. Die warfen nämlich gleich zweimal Geld zum Fenster hinaus, um wenigstens einmal für eine Woche Nabel der Sportwelt sein zu dürfen. 1989 erhielten die Stuttgarter und nicht die favorisierten Münchener den Zuschlag. Weil die Schwaben großherzigerweise auf den Organisationszuschuß aus den vollen Kassen des Internationalen Leichtathletik- Verbandes (IAAF) verzichteten – immerhin sieben Millionen US- Dollar. Wolfgang Schäuble, damals Bundesinnenminister, rieb sich darauf die Hände und bekundete, dann habe Stuttgart auf ein finanzielles Zubrot vom Bund auch nicht angewiesen zu sein.
Das alles ist zwar jetzt, da die Rezession auch im einstigen Schatzkästlein der Republik hausiert, ärgerlich. Aber das eigentliche Übel ist struktureller Natur und hat viel mit Verbandsherrlichkeit und machtgeilen Funktionären zu tun. Seine Gelüste stillen wird beim größten Sportereignis des Jahres besonders der IAAF. Dessen habgieriger Präsident Primo Nebiolo kann sich angesichts eines Gewinnes zwischen 100 und 150 Millionen Dollar wohlgefällig den wohlgenährten Bauch streicheln.
Wohl dem, der's hat. Manfred Rommel hat's nicht. Der Stuttgarter Oberbürgermeister trachtete jahrelang immer wieder danach, den großen Sport nach Stuttgart zu holen. Doch sein Traum, „Stuttgart, die Sportstadt“, erweist sich nach einem Jahrzehnt der Großveranstaltungen (unter anderem Leichtathletik-EM 1986, Tour de France, Davis-Cup-Finale, Rad-WM 1991) als finanzieller Alptraum. Dicht an seiner Seite, der ebenso umtriebige wie zwielichtige Rainer Vögele, Geschäftsführer der Stuttgarter Messe- und Kongreß GmbH (SMK). Dieser „Tiriac vom Nesenbach“ (Stuttgarter Zeitung) gerierte sich bis vor kurzem, händchenhaltend mit seinem politischen Mentor Rommel, als Promoter der Sportstadt Stuttgart. Der heute vorbestrafte Vögele, der nach dem Vorwurf der persönlichen Bereicherung aus der Vermarktung der Rad-WM auf Rommels Anraten hin einen Vergleich über 100.000 Mark unterschrieb, als den Rechtsstreit auszufechten, ist heuer Vizepräsident des Leichtathletik-WM-Organisationskomitees.
Na ja. Rechnen scheint in der Schule nicht seine Stärke gewesen zu sein. Vor zwei Jahren noch ging Vögele blauäugig von einer Kostendeckung aus. 25 Millionen Mark Einnahmen sollten Ausgaben in derselben Höhe begleichen. Doch diese schnellten auf mindestens 39 Millionen in die Höhe, während sich die kalkulierten Einnahmen nur um eine Million erhöhen ließen. Als das offenkundig wurde, mußte der Gemeinderat die nächste Kröte schlucken: Gegen die Stimmen der Grünen rettete er die Veranstaltung, indem er zustimmte, für das gesamte Defizit aufzukommen.
Auf der Habenseite schlagen rund 12 Millionen Mark für derzeit 315.000 verkaufte Eintrittskarten (von 460.000) zu Buche, ferner von der IAAF ein Verpflegungskostenzuschuß von 2,8 Millionen und 7,2 Millionen Mark, die zur Hälfte über 10 nationale Sponsoren hereinkommen und zur anderen vom „Patrons Club“, in den sich jeder für 3.000 Mark einkaufen kann, der als VIP gelten möchte. Macht 22 Millionen Mark plus 4,3 Millionen an Bewerbungskostenzuschuß, die die Stadt im Prinzip an sich selbst gezahlt hat. Doch auch das kann die marode Bilanz nicht entscheidend schönen.
„Deutschland ist einer der schwierigsten Märkte“, jammert Claude Ruibial, Vizepräsident der Schweizer Vermarktungsfirma ISL (International Sports, Culture and Leisure Marketing), einer Tochter der IAAF. Dabei macht gerade seine Firma den großen Reibach: Die ISL streicht binnen vier Jahren für Werbe- und Fernsehrechte an IAAF-Veranstaltungen 340 Millionen Mark ein, allein für die WM rund 150 Millionen. Ausgaben hat die IAAF aber so gut wie keine: Lediglich sieben Millionen Dollar muß der Internationale Verband abzwacken. Die fließen als Veranstalter-Zuschuß in die Kasse des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Und auch dieser kann sich mit Hilfe der WM sanieren. Er plant mit den Milliönchen ein neues repräsentatives Domizil. Lediglich drei Millionen (zwei für die Sporttechnik, eine für die Personalkosten) führt der deutsche Verband an die Ausrichter ab.
Auf die Plätze, fertig, los: Als erste saß die Werbekolonne in den Startlöchern. Stuttgart verändert sein Gesicht. Seit Tagen schon. Von 500 Lichtmasten wehen die Fähnchen der geldgebenden Wirtschaft. Und im Stadion stehen die Werbereiter. 50 an der Zahl, die meisten hat die Schweizer Agentur ISL verschachert. 6 Meter lang, 1,20 Meter hoch und nur 30 Zentimeter von der Außenbahn entfernt. Verlierer Nummer zwei, der Zuschauer? Gerhard Plangger vom Südwestfunk: „Beim Startschuß sieht man nur die Läufer auf der Innenbahn.“ Auf die Plätze, fertig, los: Morgen beginnt der Wettkampf mit Marathon und Gehen. Jede WeltmeisterIn bekommt ein Gefährt der schwäbischen Automobilbauer. Ein Kompromiß. Denn Athleten und deren Manager drohten mit dem Boykott, falls der IAAF seine Finanzquellen nicht auch für diejenigen zum Sprudeln bringe, die den Sport, wenn auch für manche nur pro forma, ausmachen: Die Athleten forderten Preisgelder. Nebiolo, weit davon entfernt zu blechen, nahm Mercedes-Benz in die Pflicht, wohl wissend, daß der Konzern nichts mehr befürchtete, als daß ein japanischer Konkurrent statt seiner vor dem Gottlieb- Daimler-Stadion defilieren könnte. Der Protest verstummte.
Im übrigen sind die 1.900 Athleten in einfachen Wohnungen aus den 50er Jahren mit Mehrbett- Schlafzimmern in einer ehemaligen US-Kaserne untergebracht. Auch OB Rommel meinte, es sei nicht notwendig, die Leute in Luxushotels zu bewirten. Da kann das Stadtoberhaupt wohl nur die Sportler, nicht die Funktionäre gemeint haben. Aber für die sind – wie immer – die besten Hotels gerade gut genug.
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