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Streit um die Friedensvögel

Schrottkünstler fühlen sich von Geschäftsmann betrogen – sie sollen verschwinden / Bezirksamt Mitte bekräftigt: Er macht Ärger, nicht die Künstler  ■ Von Christian Arns

Verwundert bleiben die Touristen stehen: Direkt vor der Mauer stehen zwei MiGs, ausrangierte Kampfflugzeuge, buntbemalt und ihrer Tragflächen beraubt. Neben einem Cockpit hockt ein riesiger Geier, zusammengeschweißt aus Metallketten, Rohrstücken und anderen Schrotteilen. Schräg dahinter liegt ein rosafarbener Panzer auf dem Rücken, sein Kanonenrohr ragt symbolträchtig über die Mauerreste hinweg.

„Dürfen wir reinkommen?“ fragen die Berlin-Gäste scheu. Einladend winkt sie Ralph herein, der 31jährige Londoner präsentiert stolz die „Friedensvögel“, zudem den Roboter, dessen Bauch ein Motorrad-Tank ist. Lebewesen aus Metall-Bauteilen zu schaffen, diese Idee zieht sich als ungenanntes Motto durch die Ausstellung, zu der auch ein Vogel mit prächtigem Gefieder aus einem Gartenrechen zählt.

„Wir ahnten nicht, daß wir ausgenutzt werden“

Ralph gehört zur vierköpfigen englischen Künstlergruppe „Lost Tribe of Migs“, die zwischen Mauerrest und der Stresemannstraße an einem Skulpturenpark arbeitet, in dem sie auch lebt. Diese Aufgabe sei für ihn sehr reizvoll, betont Ralph, „daher haben wir alle anderen Angebote für dieses Jahr ausgeschlagen“. Etwa bis April soll die Ausstellung fertig, die Kasse der Gruppe durch Spenden der Besucher voll genug sein, um mit Sack und Pack, Werkzeug und Kunstwerken umziehen zu können: Das nächste Engagement wartet in St.Petersburg.

Doch seit neuestem zählen braun-grün-gekleidete Gäste zum Publikum, die an Kultur wenig Interesse zeigen. Die sofortige Räumung fordert laut den Polizisten der Geschäftsmann Erich Stahnke, der „Lost Tribe of MiGs“ zunächst mitten auf den Potsdamer Platz holte. Er habe die Idee zum Skulpturenpark gehabt, sagt Ralph; damals habe die Gruppe „noch nicht geahnt, daß wir ausgenutzt werden“. Nach Ralphs Einschätzung wollte Stahnke mit der Ausstellung Druck auf das Bezirksamt Mitte ausüben: „Er hatte das Nutzungsrecht und wollte mehr Geld für die Fläche, auf der die Stresemannstraße weitergebaut wurde.“

Nun sollen die vier Engländer unverzüglich verschwinden, einen schriftlichen Vertrag haben sie nicht. „Er ist ein Arschloch“, macht der 50jährige Künstler Frank seinem Unmut über Stahnkes Sinneswandel deutlich Luft. Weitergearbeitet werde aber auf jeden Fall, die Räumungsaufforderung empfindet er als unnötige Störung: „Wir wollen nicht streiten, wir haben hier eine Aufgabe.“

„Mit den Engländern hatten wir nur Verständigungsschwierigkeiten, aber keine Probleme“, sagte der stellvertretende Amtsleiter Michael Pladeck gestern der taz, die habe das Amt nur mit Erich Stahnke: „Der macht uns Ärger. Er hantiert mit Autoritätspersonen, hat aber gar keine Verträge.“ Dem widerspricht Stahnkes Anwalt Klaus-Martin Groth: Sein Mandant habe das Nutzungsrecht für den südlichen Potsdamer Platz von der NVA erworben. „Er will dort einen Gedenkplatz errichten und mit Leben erfüllen.“

„Wir haben ein anderes Verständnis von Kunst als Bunjee- Jumping an der Mauer oder eine illegale Discothek in einer unterirdischen Toilette“, stellt Pladeck klar. Einen Gerichtsentscheid gegen Stahnke habe er bereits, die zweite Klage laufe: „Das ist öffentliches Straßenbauland, allerdings gilt das nicht für die Ecke, wo die Künstler arbeiten.“

Die sehen keine Chance, einen Umzug jetzt schon zu finanzieren. Die Gruppe will sich nun ebenfalls einen Anwalt nehmen, allerdings sind drei Wohnwagen, die Stahnke ihnen überlassen habe, einziger Beweis für die mündliche Absprache. „Wir wollen den Platz doch gar nicht behalten“, versteht Ralph die ganze Aufregung nicht, „wir wollen hier weiter arbeiten, bis wir den Umzug zahlen können“. Mit den Politikern sei die Gruppe ganz zufrieden: „Die haben uns halt machen lassen“ – so wie er es in einer Stadt wie Berlin erwarte. Und die begeisterten Touristen machen erfreut Fotos von den skurrilen Kunstwerken vor der Mauer.

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