Radeln unterm grünen Pfeil

Im Ostteil Berlins sind die Radwege holpriger und die Autofahrer härter  ■ Von Martin Böttcher

Berlin Prenzlauer Berg, Prenzlauer Allee: mit dem Rad auf dem Radweg, so wie es sich gehört. Der Radweg verläuft auf dem Bürgersteig, aber direkt an der Fahrbahn. Nur ein paar Handbreit neben einem rasen die Autos vorbei. Wenn jetzt nur nichs passiert: Ein Sturz, ein wenig Pech, und Fahrrad samt Fahrer lägen auf der Fahrbahn.

Doch dies ist nur eine der möglichen Gefahrenquellen, die auf Radfahrer im Ostteil der Stadt warten. Besonders kraß ist die Situation in den Neubaugebieten des Ostens, in den Plattenbaugebieten Hohenschönhausen, Hellersdorf oder Marzahn. „Hier sind alle Fehler gemacht worden, die überhaupt gemacht werden konnten“, sagt Matthias Wendt vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad- Club). So sei der Sicherheitsabstand zum Verkehr oft nicht vorhanden, die Radwege befänden sich ausschließlich auf dem Bürgersteig und seien zudem viel zu schmal: „Für den Autofahrer ist der Radfahrer so nicht vorhanden. Besonders beim Sturz auf die Fahrbahn hat das fatale Folgen, da kann fast nie rechtzeitig angehalten werden.“ Der ADFC fordert Fahradstreifen von mindestens 1,5 Metern Breite plus Sicherheitszone auf der Fahrbahn. Doch der Senat, sagt Matthias Wendt, tue in seiner praktischen Verkehrsplanung alles fürs Auto, aber nur wenig für die umweltfreundliche Fortbewegung mit dem Fahrrad.

Doch Radwege und Verkehrskonzepte sind nur die eine Seite, die Psyche der Auto- und Radfahrer ist die andere. Matthias Wendt, selbst aus dem Ostteil, ist der Meinung, daß Radfahrer im Westen eher als Verkehrsteilnehmer ernst genommen würden. Das sehe man vor allem am Sicherheitsabstand. „Und im Westen wird es leichter akzeptiert, wenn jemand mit dem Rad ins Büro fährt. Hier im Osten ist man froh, sein erstes Auto zu haben.“ Von solchen Unterschieden will aber einer, der es wissen muß, nichts wissen. Dirk Brauer, seit fast drei Jahren Fahrradkurier bei Messenger, meint: „Am Fahrstil ist nicht mehr zu sehen, ob einer von hier oder von da kommt. Bescheuerte Fahrer gibt's überall.“ Für den Radfahrer in Ostberlin seien andere Probleme schlimmer, etwa der immer noch sehr schlechte Zustand der Fahrbahnen oder die oft lang anhaltenden Rotphasen der Ampeln. „Besonders tückisch sind die Straßenbahnschienen und die Abflußsiele, die viel zu tief eingelassen sind“, sagt Brauer. Eine Besonderheit des Ostens, die für Radfahrer im allgemeinen gefährlich ist, kommt Dirk Brauer sehr entgegen: der grüne Pfeil. „Da kann man ganz offiziell bei Rot abbiegen. Und wer bei Rot ohne Pfeil abbiegt und von der Polizei angehalten wird, kann immer behaupten, seiner Ansicht nach wär' da einer gewesen.“

Im Ostteil stören immer noch ungenügend abgesenkte Radwegauffahrten und schlecht markierte Radwege, die im Nichts enden. Besonders nervend, sagt Matthias Wendt, seien zugeparkte Radwege und Kreuzungen sowie mangelnd abgesicherte Baustellen – „aber das sind nun beileibe keine ostspezifischen Probleme.“ Ebensowenig wie die Zahl der Unfallopfer: Die nimmt nämlich in Ost und West gleichermaßen zu. In beiden Teilen stieg die Zahl der Verletzten von 1991 auf 1992 um mehr als ein Drittel. Auch die Verschmutzung der Luft ist in Ost und West gleich stark. Hermann Kahl, technischer Angestellter bei der Senatsverwaltung für Umweltschutz, ist zuständig für die Auswertung von Meßdaten. Seiner Ansicht nach fahren in ganz Berlin die gleichen Automodelle herum.

Deshalb könne man nicht mehr zwischen den verschiedenen Bezirken unterscheiden, sondern nur noch zwischen verschiedenen Straßen – je nach Straßenbreite, der Menge des Verkehrs und der Art der Bebauung: „Auf der Karl- Marx-Straße in Neukölln sind die Luftwerte schlechter als in der Frankfurter Allee, obwohl die Anzahl der Autos in Neukölln geringer ist. Aber die Frankfurter Allee ist eben doppelt so breit.“ Allerdings habe der Verkehr in den letzten Jahren im Osten immer stärker zugenommen und sich dadurch auch die Luft verschlechtert, zum Beispiel in der Brückenstraße in Mitte.

Auch wenn die Situation für den Radfahrer im Osten alles andere als ideal ist: Der Ausbau der Straßen wird zwar bessere Fahrbahnen, aber auch mehr Auotverkehr bringen. Fahrradkurier Dirk Brauer: „In ein, zwei Jahren ist das alles gleich. Aber für mich gibt's sowieso kein Osten und Westen, für mich ist das alles Berlin.“