„Wir wollen in Europa bleiben!“

Die verzweifelte Lage muslimanischer Flüchtlinge in Kroatien  ■ Aus Malarska Gina De Ezevedo Meques

„Bitte, bitte, tun Sie doch etwas für mich, irgend etwas...“ Mirjana, dreißig Jahre alt, hat nicht mehr die Kraft, mit dem Weinen aufzuhören; auf ihrem Arm die kleinste der drei Töchter, die vierjährige Marjia, die unentwegt schreit. „Wir sind doch alle Europäer“, mischt sich Zlatko ein, „wir wollen in Europa bleiben, wir haben diesen Krieg doch nicht gewollt.“ Er schiebt seine weißen Haare aus dem Gesicht – ein gezeichnetes Gesicht, zerstört, verzerrt.

Zlatko und Mirjana gehören zu einer Gruppe von 690 bosnischen Muslimanen, die vor den Greueln des Krieges nach Kroatien geflohen sind – und die nun nach Pakistan geschafft werden sollen. Die kroatische Regierung hat beschlossen, ihnen den Status von Kriegsflüchtlingen zu entziehen. Begründung: Mangel an Geldern für ihren Unterhalt.

Malarska ist ein kleiner Ort an der dalmatinischen Küste, etwa 80 Kilometer von Split entfernt. In diesem Gebiet, nur wenige Kilometer von Mostar, sind allein im vergangenen Jahr viele zehntausend bosnische Flüchtlinge angekommen. Sie wurden zunächst in den vom einstigen Fremdenverkehr noch vorhandenen zahlreichen Hotels untergebracht, dann in eigens eingerichteten Lagern. Wie diesem hier in Promajlia. Neunzig Prozent der hier untergebrachten knapp siebenhundert Personen sind Muslimanen.

Sie haben in diesen Monaten alles miteinander geteilt – Hab und Gut, Wohnung und Angst, die vagen Hoffnungen auf ein Morgen und die Krankheiten, die aus den Mängeln der Unterbringung herrühren. Seit langem schon gibt es nicht einmal mehr die primitivsten sanitären und medizinischen Einrichtungen. Das einzige vorhandene Krankenhaus wurde geschlossen, die von Freiwilligen Helfern überbrachten Medikamente reichen bei weitem nicht aus. Die zweistöckige Schule, viel zu klein für die 315 Kinder, ist derzeit nur noch ein riesiger Schlafbunker. Die kroatischen Behörden haben längst aufgehört, sich die Klagen über all das auch nur anzuhören – und beschlossen schließlich, die Leute so weit wie möglich wegzuschicken. Immerhin möchte die Gegend wieder an die großen touristischen Zeiten anknüpfen, Malarska gehörte ganz oben dazu. Verzweifelt suchen die Flüchtlinge sich und die Europa-Ständigkeit noch zu retten: „Sagt euren Landsleuten“, ruft uns Petar zu, „daß sie auch kommen können, wenn wir noch hier sind, wir tun ihnen doch nichts...“

Doch da ist nichts mehr zu machen. Viele haben resigniert und konzentrieren sich bereits aufs Packen – beziehungsweise darauf, möglichst nichts von den drei oder vier Habseligkeiten zu vergessen, über die sie noch verfügen. Andere wehren sich noch: „Nein, wir wollen nicht nach Pakistan“, schreit Ane immer wieder: Sie ist eine der robusteren Frauen hier und genießt hohes Ansehen. „Keiner weiß, was uns dort erwartet. Was sollen diese Leute uns dort auch entgegenbringen? Die sind doch ganz anders als wir.“

Nach einem Kommuniqúe aus Pakistan, das hier im Umlauf ist, erwartet man an die sechstausend Flüchtlinge aus Bosnien. Pakistan kennt sich mit Flüchtlingen aus, so die zur Beruhigung gemeinte, in Wirklichkeit aber eher alarmierende Sprachregelung: Dort wurden schon drei Millionen Menschen aus Afghanistan aufgenommen, die während der vierzehn Jahre des dortigen Bürgerkrieges geflohen sind. Eineinhalb Millionen von ihnen sind noch immer in Pakistan. Wie und wo sollen sich da die bosnischen Muslimanen integrieren?

„Wir hassen die Kroaten doch nicht“, sagt Zorke, eine gutaussehende Vierzigerin, die gerade in einen Fiat mit Spliter Kennzeichen steigt: „Hier im Lager kommen wir glänzend mit ihnen aus.“ Doch die Kroaten des Lagers haben keinerlei Einfluß auf die Entscheidungen in Zagreb. Deren Eile, die ungerufenen Nachbarn und einstigen Landsleute loszuwerden, erfährt allenfalls durch praktische Probleme Verzögerungen: Wie kriegt man die Flüchtlinge schnellstmöglich zum Flughafen? Die vorhandenen Vieh-Lastwagen reichen nicht aus. Dann kommt auch noch das Problem mit den Pässen: kaum jemand besitzt einen, und für die Neuausstellung hapert es sogar auch noch an Fotoapparaten für die Bilder. Dann eben kollektive Pässe, so die Anordnung aus Zagreb – ein Paß pro Familie.

Amina Krdzalic sitzt in einem abgelegenen Winkel; eine schöne Frau mit langen braunen Haaren, sie trägt eine elegante geblümte Bluse und einen lachsfarbenen Minirock. Die Wangen herab laufen ihr Tränen, sie spricht nicht, betrachtet nur Fotografien, die sie nacheinander aus einem Umschlag zieht. Vor einem Jahr, als sie mit ihren acht und fünf Jahre alten Söhnen geflohen ist, hat sie gerade ein paar Kleidungsstücke und eben einige Bilder mitzunehmen vermocht – das einzige, was ihnen geblieben ist. „Ich habe seit fünf Monaten keinerlei Nachrichten von meinem Mann“ – Nikica Krdzalic ist Gefangener in einem der serbischen Konzentrationslager. Nun muß sie weg, nach Asien, und kann es ihm nicht einmal mitteilen; auch zu anderen Verwandten hat sie längst keine Kontakte mehr. „Ich weiß, daß es in Europa Rassismus gibt, nicht nur bei uns“, sagt sie tonlos, „aber es gibt doch auch viele andere, die nicht so sind und die uns aufnehmen könnten. Es wäre schon viel für uns, wenigstens hier in Europa bleiben zu können, wo auch immer.“ Doch nicht einmal dieser Strohhalm hält. Sie wird wegmüssen, wie alle.

Die Autorin ist Mitarbeiterin des Magazins „Avvenimenti“, für das dieser Bericht auch entstanden ist.