Bosnier als Opfer der Massenflucht aus Albanien?

■ In Italien kippt langsam die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen vom Balkan

Beniamiono Andreatta, seit drei Monaten amtierender Außenminister Italiens, übt ostentative Zurückhaltung: „Das Problem müssen wir angehen, wenn es sich stellt“, und „bislang stellt es sich noch nicht“ – die Betonung liegt auf „bislang“ und „noch“: Wer den Chef der Italo-Diplomatie auf die Frage der Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien und speziell auf die erwarteten aus Bosnien anspricht, erfährt zunächst, daß Italien derzeit insgesamt an die 120.000 Personen beherbergt, die aus Kriegsgebieten in aller Welt geflohen sind, daß sich darunter etwa 25.000 aus dem „europäischen Ausland“, sprich dem Balkan, befinden und daß von diesen ca. 17.000 aus dem ehemaligen Tito-Reich kommen, vor allem aus Bosnien und den angrenzenden Gebieten.

Zunächst, als vor zwei Jahren beim beginnenden Zerfall Jugoslawiens die ersten Flüchtlingsgruppen aus Slowenien und Kroatien eintrafen, schienen die „profughi jugoslawi“ geradezu als Musterbeispiel problemloser Gäste: alle bereits mit dem einen Bein wieder zurück, sobald die Kriegswirren nur etwas nachlassen, kaum jemand mit der Absicht, in Italien Wurzeln zu fassen. „So wünscht sich der nächstenliebende Mensch den Flüchtling“, spottete il manifesto: „Nur für ein paar Tage da und insofern ein kalkulierbarer Faktor für milde Gaben, dann haut er wieder ab, und man hat doch sein Stückchen für die Ewigkeit angelegt...“

Doch je länger sich der Krieg hinzieht, um so deutlicher wird: viele der Geflohenen werden kaum wieder abziehen. „Denen ist natürlich auch klar“, sagt Bernardo Amici von der Betreuergruppe „Pro Bosnia“, „daß sie in ihrer früheren Heimat nur Bombentrichter und Minen vorfinden werden – und daß sie, einmal aus dem EG-Bereich wieder hinaus, nicht wieder hierher zurückkönnen, da sich die Abschottung Westeuropas immer mehr verschärft.“

Daß Italien hier besonders aufmerksam ist, hängt nicht nur mit dem Faktor der unmittelbaren Nachbarschaft zusammen: „Zu oft schon haben die anderen sogenannten ,Europäer‘ gezeigt, wie wenig solidarisch sie sind, wenn bei uns die Grenzen reißen und sich nicht zu bewältigende Ströme hereinergießen“, murrt die ehemalige Immigrationsministerin Margherita Boniver noch heute.

So kippt langsam, aber merklich die Stimmung nicht nur in den Ämtern, sondern auch bei der Bevölkerung. Italien kennt bisher tatsächlich keine wirkliche Einwanderung – die mehr als 750.000 offiziell gemeldeten und die weitere Million heimlich im Lande befindlicher Menschen von Ländern außerhalb der EG waren bisher fast ausschließlich Saison-Zuwanderer – sie gingen nach Abschluß der Ernte auf den Feldern oder der Touristensaison wieder in ihre Heimat zurück oder verdingten sich in anderen Ländern.

Nun aber sieht sich das Land erstmals mit nicht unbeträchtlichen Gruppen auf Dauer zum Bleiben „Verurteilter“ konfrontiert – und das inmitten der größten Wirtschaftskrise seit Kriegsende. Außenminister Andreatta hat deshalb bereits informell Gespräche mit seinen anderen EG-Kollegen vorbereitet, mit dem Ziel, Immigrantenbeschlüsse der anderen Regierungen zu modifizieren – die Bestimmung beispielsweise, Asylsuchende grundsätzlich in den Ländern festzunageln, in die sie zuerst einreisen. Viel Aussicht dafür aber sieht er nicht – „die anderen sind froh“, so ein Regierungberater, „daß wir und nicht sie die Probleme haben.“ Werner Raith/Rom