Neutrale Dreckschleudern

■ Ein Portrait des "Center for Investigative Reporting" in San Francisco

In brav-beiger Bundfaltenhose steht David Kaplan vor einer Klasse asiatischer Journalisten und erklärt, warum sein Auftritt so enttäuscht: „Die meisten Leute erwarten bei einem ,investigative reporter‘ diese sexy und sportliche Person, jederzeit bereit, eine Verschwörung vor Ort aufzudecken. Die Realität sieht ganz anders aus.“ Nicht Enthüllungsjournalismus wollen Kaplan und seine Kollegen vom „Center for Investigative Reporting“ (CIR) in San Francisco betreiben, sondern an Themen arbeiten, die von den Mainstream-Medien nicht umfassend genug oder gar nicht behandelt werden.

Seit der Gründung des Centers durch ein „Hippie-Kollektiv“ (Kommentar der Konkurrenz) 1977 veröffentlichen die neun Reporter unter der Leitung von Pulitzer-Preisträger Fredric Tulsky ihre Geschichten, allerdings schon lange nicht mehr nur in Alternativ- Medien. Etablierte Zeitungen wie The Washington Post oder The Nation drucken dankbar Center-Artikel, Nachdrucke erscheinen zwecks überregionaler Verbreitung im hauseigenen Journal Muckraker (in etwa: Dreckschleuder). Im anzeigenfreien Muckraker werden auch Artikel veröffentlicht, die an andere Zeitschriften nur schwer verkauft werden können, zum Beispiel ein Bericht über auf Minoritäten zielende Marketingstrategien von Alkoholfirmen. Der nämlich, so fürchteten andere Magazine, könnte ihre Anzeigenkunden vergraulen.

„Es geht nicht darum, wie das System nicht funktioniert, sondern darum, wie es funktioniert“, beschreibt James Curtiss, verantwortlich für den Muckraker, die Unternehmensmaxime. Konstruktivisten, nicht Revoluzzer. Zum amerikanischen Wahljahr 1992 wurde dann auch flugs das Motto „American Democracy: Making it work“ ausgerufen und die Geldgeber der Wahlkampagnen der Präsidentschaftskandidaten ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Zudem wurde in Frage gestellt, ob die amerikanische Wahlkampffinanzierung es den Kandidaten überhaupt ermöglicht, von ihren Sponsoren unabhängig zu handeln. Und weil Wahlkampf ohne Mattscheibe nicht mehr denkbar ist, schob CIR gleich einen Dokumentarfilm hinterher. Obwohl für ein 90minütiges Feature von Center-Qualität schon mal ein Jahr recherchiert wird, bringen TV-Produktionen mehr Geld als ein Artikel.

„Wir können uns gar nicht leisten, so viel Zeit für Recherchen aufzuwenden“, stellt ein Philippine fest, der von der „Asia Foundation“ nach San Francisco geschickt wurde, um am Center das Handwerk des „investigative reporting“ zu erlernen. Das „Center“ kann sich seine zeitaufwendigen Recherchen auch nur deshalb leisten, weil zwei Drittel des 1,5-Millionen- Dollar-Etats aus Spenden von Stiftungen und Privatpersonen stammt. Diese Gelder werden vom Center in eigener Verantwortung verwaltet, um Einflußnahme der Sponsoren auszuschließen. Da CIR-Reporter ein Festgehalt erhalten, können sie ausführlicher recherchieren als ihre unter Veröffentlichungsdruck arbeitenden Kollegen aus Zeitungs- und Fernsehredaktionen.

Stiftungen (beziehungsweise die sie nährenden Firmen) „schenken“ CIR Geld, weil sie Spenden an eine gemeinnützige Organisation von der Steuer absetzen können. Und gemeinnützig darf in den USA nur sein, wer politisch neutral bleibt. Schon deshalb achten CIR- Journalisten darauf, gerade bei politisch brisanten Themen nicht Partei zu ergreifen.

Die Center-Reporter, die Ben Bagdikian, ehemaliger Dekan der renommierten Journalistenschule der Universität Berkeley, „einige der besten investigativen Journalisten im Land“ nennt, brauchen jedoch nicht nur Zeit und Geld. Sie müssen auch ausgefuchst sein in den Techniken und Eigenarten des amerikanischen „investigative reporting“. Was hierzulande jeder mittelmäßig begabte Datenschutzbeauftragte zu verhindern wüßte, heißt in den USA „public records“, öffentliche Akten. Diese Akten, die für eine „durchsichtige Regierung“ sorgen sollen, liegen im Rathaus sowie bei der Landes- und Bundesregierung aus. Sie geben Auskunft über die Wahlkampffinanziers der Abgeordneten und Gehaltslisten von halböffentlichen Firmen wie der örtlichen Telefongesellschaft. Hier bietet sich eine ausgezeichnete und völlig legale Möglichkeit, sich über den örtlichen Beamtenfilz zu informieren.

Wer gerne Regierungsdokumente zu Gesicht bekäme, die nicht als „public records“ klassifiziert wurden, kann sich nur noch auf den „Freedom of Information Act“ (FOIA) berufen. Dieses Gesetz garantiert Zugang zu Akten der exekutiven Behörden. Allerdings sorgen „unkooperative“ Behörden oft dafür, daß daraus keine Fundgrube für Geschichten über Korruption in Ministersesseln wird. So manches Mal erhält man ein unter dem Vorwand der „nationalen Sicherheit“ bloß geschwärztes Papier, mal sind Akten „verlorengegangen“.

Zur Freude eines jeden Wirtschaftsjournalisten müssen auch Steuererklärungen von gemeinnützigen Organisationen auf Anfrage herausgegeben werden. Damit kann zum Beispiel bewiesen werden, daß ein vermeintlich unabhängiges Wissenschaftsforum ausschließlich Spenden von Chemiefirmen erhält, so daß eine unabhängige Kritik an der Umweltpolitik unmöglich wird.

Ihre Praktikanten, von denen sie im Jahr 16 kostenfrei ausbilden, schickten die CIR-Reporter früher in verstaubte Archive. Heutzutage ruft der EDV-erfahrene Praktikant Artikel nach Stichwörtern vom Monitor ab. Datenbanken speichern fast alle großen amerikanischen Zeitungen und eine schier unbegrenzte Zahl von Fachblättern und drängen mit diesem Service herkömmliche Archive vom Markt.

Wenn dann eine Reportage geschrieben ist, geht es ans berüchtigte „fact-checking“. Die Überzeugung, daß nur ein einziges falsch übertragenes Zitat die Glaubwürdigkeit des ganzen Artikels ruinieren kann, führt dazu, daß neben Zitaten, Zahlen und Namen auch Behauptungen von einem unabhängigen „fact-checker“ überprüft werden. „Sind sie wirklich glatzköpfig?“, ist die Frage, die ein jeder „Wahrheitsprüfer“, schon mal einem berühmten Filmstar gestellt haben will. Tatsächlich geht es Zeitschriften weniger darum, die „Wahrheit“ zu prüfen, als sich im Land der gerichtlich verordneten Rufmordentschädigungen vor möglichen Schadensersatzklagen zu schützen.

In all diese Grundlagen sollen CIR-Praktikanten und interessierte ausländische Journalisten eingeweiht werden. „Die wöchentlichen Seminare eröffnen eine Gelegenheit, von erfahrenen Journalisten zu lernen“, wird den Sponsoren im CIR-Geschäftsbericht des Centers mitgeteilt. Dies hat nicht nur ideelle Gründe. Einige Firmen stellen CIR Datenbanken zu Vorzugspreisen zur Verfügung in der Hoffnung, daß Center-Praktikanten ihre zukünftigen Arbeitgeber vom Nutzen der elektronischen Archive überzeugen können. Und Kontakte zu ausländischen Journalisten erleichtern die Produktion international vermarktbarer Stories.

Letztendlich ist Schreibtisch- Handwerk dann aber doch nicht alles. Daß der „investigative reporter“ manchmal auch Undercover- Agent spielen darf, bewies ein Journalist während des Golfkrieges. Den offiziellen Angaben zu Verlusten in der US-Armee mißtrauend, gab er sich als Leichenbeschauer in einem Armee-Stützpunkt im Bundesstaat Delaware aus. Als er beweisen konnte, daß die ins Leichenschauhaus eingelieferten Soldaten die offizielle Anzahl der Kriegsopfer um ein Vielfaches überstiegen, präsentierte er nicht nur einen echten Fall von Enthüllungsjournalismus, sondern erhielt auch noch einen Praktikumsplatz beim Center. Birte Meier

Center for Investigative Reporting Inc., 568 Howard St., 5th floor,

San Francisco, CA 94105