Ein Fortschritt mit Krücken

■ FC St. Pauli verliert bei Unwetter gegen Hansa Rostock 2:4

Seppo Eichkorn konnte es einfach nicht glauben. Bisher lebte er im guten Glauben, bei der Saisonvorbereitung die Krücken aus seinem Kader geschmissen zu haben. Nur noch Spieler, die Zweitliganiveau haben, sollten bei den Braunhemden auflaufen. Vorbei also die Zeiten, als Akteure wie Klaus Ottens oder Waldemar Steubing in aussichtsreicher Position über den Ball treten durften, hoffte der Übungsleiter. Vereinsfinanzier Heinz Weisener hatte noch einmal tief in seine Geldbörse gegriffen, um Eichkorn Spieler zur Verfügung zu stellen, deren fußballerische Ausstrahlung weniger wie eine Allegorie des Lebens auf dem St. Pauli-Kiez wirkt.

Bei der gestrigen 2:4-Niederlage seiner Equipe gegen Hansa Rostock war allerdings eines offensichtlich: Die fußballerische Sozialisation am Millerntor geht offenbar schneller vonstatten, als es den Verantwortlichen lieb sein kann. Carsten Pröpper etwa, der Saubermann im Trikot des Clubs aus dem Schmuddelviertel, einer, der so ausschaut, als ob er den Sonnabend nachmittag lieber damit verbringen würde, seinem Ford-Escort-Cabrio eine neue Politur zu verpassen, hatte in diesem Spiel sein endgültiges Coming-Out als St. Pauli-Angreifer.

Er ließ brachial gute Torchancen aus, in einer Manier, die selbst den vormaligen St. Pauli-Übersteiger Klaus Ottens vor Scham im Grün des Wilhelm-Koch-Stadions versinken lassen hätte.

An ihm allein hatte es allerdings nicht gelegen, daß der FC St. Pauli ein hochgradig spannendes Zweitligaspiel verloren hat. Eine Mittelverteidigung, die ohne den gesperrten Dieter Schlindwein noch schlechter koordiniert war als bei den beiden Auswärtsspielen in dieser Saison, war schlußendlich spielendscheidend: Fußlahm beim 1:1 durch Timo Lange, nachdem Dirk Zander in der 16. Minute aus dem Strafraum-Tohuwabohu den Führungstreffer markieren konnte, kopfballschwach beim 1:2 in der 21. Minute, als Chalaskiewizc, den einen Kopf größeren Jürgen Gronau, beim Kopfballduell düpieren konnte.

Gut unterhalten fühlten sich die 20 000 Zuschauer im ausverkauften Wilhelm-Koch-Stadion trotz dieser Disharmonien und einer Unwetter-Pause in der 83. Minute.Zu diesem Zeitpunkt hatte der FC St. Pauli beim Stande von 2:3 noch durchaus Chancen, das Spiel für sich zu entscheiden; das 1:3 durch Dowe in der 60. Minute schien vergessen, und die Gegengerade war noch durch den 2:3-Anschlußtreffer von Dirk Zander in der 65. Minute berauscht. Selbst das 2:4 durch Timo Lange in der 87. Minute und der verschossene Foulelfmeter von Martin Driller in der gleichen Minute, konnte nicht verhindern, daß die Fans die Spieler fast so feierten, als ob sie gewonnen hätten. Sechs Tore in diesem Stadion und eine Unzahl von besten Chancen, die nicht genutzt wurden, sind immerhin ein Fortschritt zu dem Gekicke der vergangenen Saison. Kader