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In der Wandelspirale

Dem Zuschauer die Zunge herausstrecken: Rebecca Horn, im deutschen Kunstbetrieb unterschätzt, bespielt das schwierige Guggenheim Museum in New York  ■ Von Christopher Phillips

Frank Lloyd Wrights Guggenheim-Spirale auf der Fifth Avenue ist als ein schwieriges Museum bekannt. Wrights ebenso eigenwillige wie spektakuläre Architektur überschattet die dort ausgestellte Kunst regelmäßig, was selbst herausragende Figuren wie Mario Merz und Joseph Beuys zu ihrem Kummer erfahren mußten. In den vergangen Jahren gelang es eigentlich nur Jenny Holzer, diesen Bau für sich zu funktionalisieren. Ihre Installation von LED-Schriften auf der Brüstung der spiraligen Rotundenrampe ließ die Slogans in schwindelmachenden Kreisen von der Kuppel zum Boden strömen.

Bei der Vorbereitung ihrer derzeitigen Ausstellung im Guggenheim Museum muß Rebecca Horn einen ähnlichen Impuls gespürt haben: den Wright-Bau in eine Bühne zu verwandeln, die ihrem Werk dramatische Geltung verschafft. Einige von Horns erfolgreichsten Arbeiten der letzten Jahre waren in der Tat ortsspezifische Arbeiten, die auf die Geschichte oder die Stimmung des Schauplatzes antworteten; am bekanntesten wohl „Das gegenläufige Konzert“ (1987) im westfälischen Münster, wo sie eine Serie von surrealistisch anmutenden Gebilden in einem verfallenen Turm aus dem 16. Jahrhundert installierte, der für eine Geschichte blutigen Horrors steht.

Insofern kann es nicht überraschen, daß Horn versuchte, das Guggenheim in eine Kulisse für ihre kniffligen und manchmal unheilverkündenden „Maschinenträume“ zu verwandeln. Geht man durch die Ausstellung, trifft man allenthalben auf Feldstecher, die, an Drähten von der Decke hängend, hin und her schnellen, als ob sie verzweifelt jemandes Blick erhaschen wollten.

Ganz oben, am Beginn der Rampenspirale, hat Horn einen großen Konzertflügel verkehrt herum aufgehängt. Von Zeit zu Zeit bläst eine Trompete, und der Flügel „entweidet sich“ – der Pianodeckel fliegt auf und die langen hölzernen Klaviertasten fallen mit kakophonischen Getöse aus ihrem Behältnis. Bei dieser Arbeit, „Concert for Anarchy“ betitelt, scheint es, als würde der Flügel dem Museum und seinem Publikum die Zunge herausstrecken.

Über die freie Strecke zwischen den Rampenbrüstungen hat Horn einen Draht gespannt, und dann und wann sieht der Betrachter einen leeren, auf- und zuklappenden Koffer durch die Luft „fliegen“, wie ein Vogel, der seine Schwingen schlägt. Diese Arbeit, mit dem Ruch der angstbeladenen Flucht des Emigranten, nennt Horn „Amerika“.

„River of the Moon“ schließlich scheint Horns fröhlicher Angriff auf das Gebäude selbst zu sein. Aus einer Pumpe auf einer der unteren Rampen windet sich ein dickes Bündel silber-metallener Röhren wie wuchernder wilder Wein durch die Wände und Böden des Museums, um zwei Rampenspiralen höher zu gelangen. Die Röhren befördern Quecksilber. Die glänzende Substanz wird sichtbar, wenn die Röhren niedrige schwarze Metallkästen durchlaufen, die in den verschiedenen Rampenniveaus aufgestellt sind. Oben an der Guggenheim-Spirale enden die Röhren in rotierenden Bohrköpfen, die sich in die Balustrade hineinwinden, als ob sie krampfhaft versuchten, das Sonnenlicht zu erreichen, das durch die Tageslichtkuppel in das Gebäude fällt.

Das ehrgeizigste Projekt der Guggenheim-Ausstellung ist jedoch eine zweiteilige raumspezifische Arbeit, „The Inferno-Paradiso Switch“ betitelt. „Paradiso“ ist in der Rotunde aufgebaut. Von der Tageslichtkuppel hängen zwei riesige Glastrichter herab: ähnlich Brüsten geformt, enthalten sie eine milchige Flüssigkeit. An diese Trichter sind drei Metallstangen angebracht, in der Form eines gezackten Blitzes; sie bewegen sich langsam vor und zurück, als ob sie in einen Bogen gespannte Pfeile wären, die auf die Museumsbesucher zielen. Aus den Trichtern fallen Tropfen in das ovale Wasserbassin der Eingangshalle des Museums. An eine Ecke des Bassins hat Horn eine weitere Maschine gestellt, die eine speerförmige Metallstange vor- und zurückstößt, als wollte sie die Tropfen auffangen.

Zwar sagt Rebecca Horn, daß mit jedem fallendem Tropfen der Eindruck erzeugt werden soll, daß sich die Skulptur durch das ganze Gebäude erstreckt. Aber es stellt sich heraus, daß die Arbeit als Ganzes gar nicht zu sehen ist. Von oben kann man die Tropfen nicht verfolgen, wie sie in das Bassin fallen, und wenn man dort sitzt, verschwinden die Tropfen im Geräusch und im Spritzen der Wasserfontäne in der Mitte des Brunnens. Letztlich erscheint „Paradiso“ weder gut ausgedacht noch gut ausgeführt.

Erfolgreicher ist das Gegenstück „Inferno“, das Horn downtown, in dem sehr hohen Erdgeschoßraum der neuen Guggenheim-Dependance in Soho installiert hat. Die Arbeit ist von der metallenen Brücke, die durch die Mitte des Raums führt, leicht in einem Blick zu erfassen. An der Decke ist der weiße Metallrahmen eines Krankenhausbetts montiert; auf dem Boden, direkt darunter, befindet sich ein rundes schwarzes Bassin. Von der Decke tropft ständig Wasser herab. Daneben sind etwa zwanzig weiße Krankenhausbetten zu einem Turm ineinanderverkantet. Im Innern sind einige zischende und funkensprühende Elektrogeräte plaziert. In der Nähe stehen auf dem Boden zwei große Metronome, deren asynchrone Perpendikel aufeinander einzudreschen scheinen. Das in sich abgeschlossene, surrealistische Gebilde von „Inferno“ versetzt den Betrachter unwillkürlich in eine alptraumhafte Stimmung von Angst, Aggression und unmittelbarer Katastrophe.

Im Ganzen gesehen kann sie das nicht einlösen: Gerade im Wright- Bau an der Fifth Avenue fehlt überraschenderweise die Atmosphäre latenter Spannung und Gefahr, die viele von Horns Arbeiten auszeichnet. Wenn die Aura von Erotizismus und Bedrohung, die üblicherweise Horns Rauminstallationen durchdringt, dieses Mal im Guggenheim nur schwer aufzuspüren ist, dann müssen die Probleme der Ausstellung der Plazierung der Werke in die Nischen der Wandelspirale zugeschrieben werden. Horns Arbeiten, besonders ihre Installationen, sind dann psychologisch am effektivsten, wenn sie in geschlossenen Räumen betrachtet werden. In solchen Räumen wird die spannende Begegnung zwischen Betrachter und der unvorhersehbaren, und manchmal unheilvollen Energetik der Maschinen noch einmal verstärkt und die Illusion einer dicht aufgeladenen Traumwelt stellt sich leichter ein. In die offenen Nischen des Guggenheim gesetzt, erscheinen Horns Maschinen – um die die Betrachter nicht mehr herumgehen können – allerdings wie große, harmlose Spielzeuge. Vor den hellbestrahlten Wänden der Rotunde sehen die Maschinensilhouetten eher wie flache Zeichnungen denn wie dreidimensionale Skulpturen aus.

Dabei scheinen alle Hornschen Maschinenskulpturen dafür gemacht, die „prometheische Scham“, von der Günther Anders spricht, zu unterminieren; die Scham, die der Mensch angesichts der Perfektion und Unsterblichkeit der Maschine empfindet. In Horns Werk übernimmt die Mechanisierung zwar die Macht, aber mit unerhofften Resultaten: ihre Maschinen unterliegen den gleichen widersprüchlichen Impulsen und sind den gleichen irrationalen und selbstzerstörerischen Verhaltensweisen ausgeliefert, die den Menschen plagen.

Die bestürzendste Sicht all der Verletzungen und Markierungen, die man aufgrund der Lebenserfahrungen davonträgt, zeigen jedoch Horns frühe Arbeiten von 1968-78, die in einem Seitenraum des Guggenheim Museums zu sehen sind. Viele der phantastischen prothesenartigen Objekte – Masken aus Vogelfedern, Handschuhe, die Horn bei ihren Performances trug und deren Finger bis zum Boden schleifen – sehen aus, als wären sie von den surrealistischen Collagen etwas eines Max Ernst inspiriert. Vielleicht, weil Horn inzwischen bei einer ganz anderen Art von Arbeit angelangt ist, sind diese Werke fast wie historische Dokumente arrangiert, und in exzentrisch geformte Transportschachteln verstaut, oder neben diese an die Wand gehängt. Anders als den manisch-depressiven Maschinen gelingt es aber diesen ruhigen, geheimnisvollen Arbeiten sehr viel besser, sich gegen die ostentative Architektur von Frank Lloyd Wright durchzusetzen und sich ihren eigenen imaginären Raum zu schaffen.

Rebecca Horn: Retrospektive. Solomon R. Guggenheim Museum, 1071 Fifth Ave. und Guggenheim Museum Soho, New York City. Bis zum 1. Oktober 1993.

Christopher Phillips ist Redakteur bei „Art in America“, New York

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