Konkurrenz für den Obersten Sowjet

■ Jelzin für Föderationsrat / UN-Korridor in Abchasien

Moskau (taz) – Wenn man nur die Paragraphen, nicht aber die Realität betrachtete, war Rußland schon seit Jahrzehnten ein Zusammenschluß autonomer territorialer Gebilde. Mit einem neuen „Föderationsvertrag“, den Jelzin am vergangenen Freitag im karelischen Petrosavodsk mit den Mitgliedern der Föderation erörterte, soll nun aber endlich Fleisch auf das papierene Gerippe kommen. Vor Unterzeichnung des Abkommens müssen so zunächst konkrete Übereinkünfte über den Kompetenzverzicht der einzelnen Subjekte zugunsten der Moskauer Zentrale getroffen werden. Jelzin ließ dabei offen, ob dieses Verhältnis in jedem einzelnen Falle individuell bestimmt oder für alle generell gelöst werden soll. Als Gremium regte er einen Föderationsrat mit je zwei Vertretern für jedes Basis-Territorium an, ein Vorschlag, den die Teilnehmer im Abschlußkommuniqúe im Prinzip akzeptierten. Jelzin verbuchte somit einen wichtigen Erfolg, denn mit diesem Rat könnte ein neues legitimes Machtorgan parallel zum gegenwärtigen Obersten Sowjet geschaffen werden. Der blockiert die Reformen der Regierung permanent, aber weder sein Vorsitzender Ruslan Chasbulatow noch die Deputierten sind bereit, für vorzeitige Neuwahlen zu weichen.

Zum Schluß der Konferenz hatte Jelzin die Einheit Rußlands beschworen und sich gegen Austrittstendenzen einzelner Territorien gewandt. Es gebe nur zwei Möglichkeiten, Rußland zusammenzuhalten: entweder auf eine zivilisierte Weise oder „mit nackter Gewalt, durch eine Diktatur“. Trotzdem ist nicht daran zu zweifeln, daß der Präsident unter dem Verhandlungstisch den Subjekten der Föderation Zugeständnisse gemacht hat.

Noch am gleichen Tage war aber auch Ruslan Chasbulatow auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Vor Auslandskorrespondenten wiederholte er erst ausführlich seine traditionellen Vorwürfe gegen den Präsidenten und die Regierung, die er erneut für die Wirtschaftsprobleme verantwortlich machte. Dann aber verpaßte er dem Auftritt Jelzins in Petrosavodsk die Note „positiv zu bewerten“. Vor allem, so Chasbulatow, stimme er mit der Feststellung überein, daß der Föderationsvertrag dort als existentielle Grundbedingung der Russischen Föderation bezeichnet worden sei.

Die Einheit Georgiens beschwor Eduard Schewardnadse am Sonnabend in der abchasischen Hauptstadt Suchumi. Dort standen sich georgische und abchasische Truppen zum erstenmal seit Ausbruch des blutigen Bruderkonfliktes vor einem Jahr nicht mehr Auge in Auge, sondern in einem Abstand von etwa 25 Kilometer gegenüber. In diesen Sicherheitskorridor sind inzwischen russische UN-Truppen vorgerückt. Acht UNO-Beobachter befinden sich als Vorhut eines größeren Kontingentes am Ort. „Georgien ist unteilbar, erklärte Schewardnadse. Jetzt sei es nicht an der Zeit zu richten, „wer an der Entfesselung dieser schrecklichen Tragödie schuld ist“. Barbara Kerneck