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Auch im Zwischenbericht der Bundesregierung zu Bad Kleinen fehlt eine schlüssige Erklärung für den Tod von Wolfgang Grams. In der linken Szene kursiert der Steckbrief zum V-Mann. Von Gerd Rosenkranz

Dilettanten und Vertuscher

Als die Schweriner Staatsanwälte die erste Fassung des im Hause Manfred Kanthers „abgestimmten“ „Zwischenbericht der Bundesregierung zu der Polizeiaktion in Bad Kleinen“ auf den Tisch bekamen, legten sie ihr Veto ein. Weil das Ermittlungsverfahren in Schwerin andauerte, sollten ihre Erkenntnisse zur Todesursache von Wolfgang Grams nur „eingeschränkt verwertet“ werden. Das wurden sie dann auch. Allerdings nicht so, wie die Schweriner sich das vorgestellt hatten: Solche Erkenntnisse, die die Selbstmordtheorie zu bestätigen scheinen, wurden abgewogen und konsequent für gewichtig befunden, solche, die dagegen sprachen, nicht.

Die 170-Seiten starke Schrift kulminierte schließlich in einem Anhang, in dem den Adressaten ein ausladender Argumentationskatalog gegen Falschmeldungen der Medien an die Hand gegeben wurde. O-Ton Entwurf Nummer eins: „Behauptung: Es hat eine Liquidierung gegeben – Richtig ist: ... Der Kopfschuß muß auf Selbsttötung oder einen Unfall zurückzuführen sein.“ Im zweiten Berichtsentwurf fehlt der Persilschein für die unter Exekutionsverdacht geratene Elitetruppe GSG 9.

Das Beispiel hat Methode. Im zweiten, nicht zuletzt wegen der Proteste aus Schwerin völlig überarbeiteten Entwurf haben die Autoren (alle am Einsatz beteiligten Bundes- und Landesbehörden, außerdem Staatsanwaltschaft Schwerin und Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern) manches weggelassen, was im ersten zu streng nach voreiliger Exkulpation roch. Wenn diese Fassung übermorgen mit Verspätung die Abgeordneten des Bundestagsinnenausschusses erreicht, werden bei der Reinwaschungs-Zeremonie Flecken zurückbleiben. Eine Sammlung von Pannen, Fehl- oder Verdunkelungsleistungen wird die Volksvertreter beschäftigen. Die entscheidende Frage jedoch, wie Wolfgang Grams zu Tode kam, bleibt weiter unbeantwortet.

Katastrophale Fehlleistungen bei der Durchführung und nachträglichen Aufklärung der desaströsen Aktion gesteht der Regierungsbericht im Kapitel „Schwachstellen“ freimütig ein: „Es besteht kein Zweifel, daß in der Tatortarbeit und bei der Spurensicherung nach dem Schußwechsel erhebliche Fehler gemacht worden sind und ebenso die Informationsweitergabe – einschließlich der Unterrichtung des Parlaments und der Öffentlichkeit – nicht befriedigend verlaufen ist.“ Die Liste der Pannen ist mittlerweile bekannt: Der verstümmelte Funkspruch (siehe Seite 10), der das Drama auslöste. Der Verzicht auf Schutzwesten bedeutete für Michael Newrzella den Tod. Hinzu kommt die verzögerte Spurensicherung auf den Gleisen ebenso wie die Verletzung fundamentaler gerichtsmedizinischer Regeln bei der Obduktion des toten Wolfgang Grams.

Aber das Eingeständnis von Fehlern trägt den nächsten Skandal schon in sich. Es geht nämlich stillschweigend davon aus, daß Dilettantismus am Werke war und nichts anderes. Zum Beispiel bei dem keineswegs unerfahrenen Abteilungsleiter Terrorismus im Bundeskriminalamt (BKA), Rainer Hofmeyer. Er hatte die Zeugenaussage der Kioskbeschäftigten, die die Tötung des RAF-Mitglieds durch GSG-9-Beamte aus nächster Nähe gesehen haben will, über mehrere Tage nicht an die Chefetagen des BKA, der Bundesanwaltschaft (BAW) und des Bonner Innenministeriums weitergeleitet. Ebensowenig die Lübecker Obduktionsbefunde über den bei Grams festgestellten aufgesetzten Kopfschuß. Keiner der beiden Berichtsentwürfe der Bundesregierung erwägt auch nur die Möglichkeit der gezielten Verdunkelung. Diese Frage jedoch beschäftigt nicht nur die Stammtische, sondern auch Fachleute der Staatsschutzbehörden, die nicht direkt in die Bad-Kleinen-Aktion involviert waren.

Festzuhalten bleibt: Die teils widersprüchlichen, teils objektiv falschen Aussagen der GSG-9-Beamten schlagen sich auch im zweiten Entwurf des Berichts nicht nieder. Der als möglicher Todesschütze hauptverdächtige Beamte Nummer 6 wird lediglich mit seiner letzten Aussage zitiert, wonach er hinter einem Stützpfeiler auf dem Bahnsteig Deckung suchte, demzufolge Grams nur zeitweise im Blickfeld hatte und die Umstände des tödlichen Schusses nicht mitbekam. Daß er zuvor zweimal – beim BKA und der BAW – versichert hatte, er habe freistehend vom Bahnsteig aus auf Grams gefeuert, findet keine Erwähnung (siehe Seite 10). Dann jedoch hätte er die Todesumstände des RAF-Mitglieds mitbekommen müssen.

Zwei weitere Fragen nähren die Zweifel an der Selbstmordtheorie. Zum einen die kaum vorstellbare Geschwindigkeit, in der immerhin über fünfzig Schüsse fielen. „Der Schußwechsel“, heißt es im Entwurf des Regierungsberichts, „dauerte 5 bis 6 Sekunden, die gesamte Zugriffsmaßnahme ... etwa 25 Sekunden.“ Da Grams zuerst schoß, müßte er sich dann, nachdem er selbst getroffen auf die Gleise fiel, binnen zwei oder drei Sekunden zum Selbstmord entschlossen haben. Es sei denn, der (mutmaßlich leisere) aufgesetzte Schuß fiel nach der eigentlichen Schießerei und wurde von niemandem gehört. Dann jedoch hätten die Beamten den Vorgang sehen müssen.

Zum andern gibt die Lage der Waffe Rätsel auf. Im ersten Regierungsentwurf hatte es noch geheißen, die Waffe, mit der der RAF-Aktivist getötet wurde, „lag etwa 20 bis 30 cm neben Grams rechter Hand“, ehe der Beamte Nummer 6 sie angeblich aufhob und auf dem Bahnsteig deponierte. In der Neufassung wurde die Aussage revidiert: „Die rechte Hand von Grams befand sich nach gegenwärtigen Erkenntnissen hinter dessen Rücken .... Die Waffe hingegen befand sich vor dessen Gesicht in der Nähe seiner linken Hand.“ Wolfgang Grams kann sich jedoch nachweislich des festgestellten Schußkanals – wenn überhaupt – nur mit der rechten Hand erschossen haben.

Für die Position der Waffe gibt es keine plausible Erklärung. Eine Differenz der beiden Berichtsentwürfe über den Schußwechsel mit Grams gehört in diesen Zusammenhang. Im ersten Entwurf heißt es: „Unmittelbar nach Erreichen des Bahnsteigs drehte sich Grams um, hielt jetzt eine Waffe in der rechten Hand und feuerte auf die ihn verfolgenden Beamten.“ Im zweiten Entwurf wird der Ablauf genauso geschildert –, nur fehlt hier der Hinweis auf die „rechte Hand“.

Sechs Wochen nach der Aktion in Bad Kleinen hat sich die Staatsanwaltschaft Schwerin entschlossen, zwei schwer belastete GSG-9- Beamte aus dem Zeugen- in den Beschuldigtenstatus zu überführen. Gegen Birgit Hogefeld ermittelt der Generalbundesanwalt. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, wegen einer möglichen Beteiligung am Anschlag auf den früheren Staatssekretär Tietmeyer im Jahr 1988 – und „wegen Mordes (Tötung des PK Newrzella)“. Hogefeld allerdings lag, als Newrzella oben auf dem Bahnsteig die tödliche Kugel traf, gefesselt in der Unterführung. Nachweislich.

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