„Nicht mein Buch aushändigen“

■ Interview mit dem amerikanischen Sekten-Ausstiegsberater Steve Hassan über Scientology und andere Sekten und über sein jetzt in Deutschland erschienenes Buch Von Kristian Binder

Der Amerikaner Steve Hassan war Mitglied der sogenannten „Vereinigungskirche“ von San Myung Mun. Nach seinem Ausstieg 1976 wurde er Ausstiegsberater. Unter dem Titel „Ausbruch aus dem Bann der Sekten“ wurde sein Buch zum Thema jetzt auf deutsch veröffentlicht. Vorige Woche war er in Hamburg.

taz: Stimmt der Vorwurf der Scientology-Church, daß Sie Sektenmitglieder gewaltsam deprogrammieren?

Hassan: Das ist eine Lüge. Ich habe 1976 an etwa zwölf unfreiwilligen Ausstiegen mitgewirkt, denn 1976 war kein anderer Weg bekannt. Dabei wurde aber keine Gewalt angewendet. Seit 1977 habe ich nur noch freiwillige Beratungen durchgeführt.

taz: In Ihrem Buch gestehen Sie aber für Extremfälle Ausnahmen zu.

Hassan: Ich halte es für ethisch vertretbar, einzugreifen, wenn jemand zum Beispiel Diabetiker ist und nur noch fünf Tage zu leben hätte, weil er aufgehört hat, Insulin zu nehmen. Ich selbst würde so etwas aber nicht tun. Falls aber jemand nach einer solchen Intervention freiwillig mit mir sprechen möchte, würde ich es tun, solange er dabei jederzeit aufstehen und weggehen kann.

taz: Warum greifen die Scientologen Sie dann so heftig an?

Hassan: Es geht ihnen dabei nicht um die öffentliche Meinung. Sie versuchen so, ihren Mitgliedern Angst vor mir zu machen.

taz:Das klingt, als seien Sie solche Methoden gewohnt.

Hassan: Leider, seit 17 Jahren. Sie lassen Privatdetektive in meinem Müll suchen. Sie rufen meine Nachbarn und Freunde an und versuchen, sie gegen mich aufzuhetzen oder Informationen über mich zu bekommen. Sie haben mich sogar bei einer Aufsichtsbehörde in Massachusetts als Entführer angezeigt. Die Sache wurde zwar verworfen, aber nun können sie immerhin verbreiten, es habe eine Untersuchung gegen mich gegeben.

taz: Haben Sekten auch positive Aspekte?

Hassan: Ja. Ich beantworte das am besten aus meiner eigenen Erfahrung. Ich lernte bei den Munies, mit sehr wenig Schlaf und Essen auszukommen, öffentlich zu reden, und wie man Geschäfte macht. Es ist wie bei einer Ehe, die zerbricht: Oft gibt es die Tendenz, den Partner völlig schlecht darzustellen. Aber wenn man eine Person genug mag, um sie zu heiraten, muß sie auch gute Seiten haben. Die von mir beratenen Leute sollen die guten Erinnerungen mitnehmen, wenn sie herauskommen.

taz: Gibt es Menschen, die besonders anfällig für Sekten sind?

Hassan: Gefährdet sind Personen, die an einem Wendepunkt ihres Lebens stehen, in einer Streßsituation. Schwache Menschen mit wirklichen Problemen bleiben nicht in Sekten, denn das Leben ist dort so anstrengend, daß sie es nicht lange aushalten oder auch schlicht rausgeworfen werden.

taz: Kann man prinzipiell jeden aus einer Sekte herausbekommen?

Hassan: Ja. Bewußtweinskontrolle funktioniert nie vollständig. Familien und Freunde können helfen, indem sie die betroffene Person nicht unter Druck setzen. Sektenmitglieder sehen in ihnen sonst nämlich nur noch einen Feind, schalten sofort ab und geraten damit noch tiefer in die Gruppe hinein. Stattdessen sollte man Interesse zeigen. Denn nur über einen guten Kontakt kann man Einfluß nehmen, um das verborgene Selbst eines Sektenmitgliedes herauszulocken.

taz: Was können Hamburger tun, deren Freunde oder Angehörige in eine Sekte geraten sind?

Hassan: Auf keinen Fall sollten sie ihnen einfach mein Buch aushändigen. Das würde es schlimmer machen, weil es meist das Vertrauen zerstört. In den USA wird deshalb ein entsprechender Warnhinweis auf den Umschlag gedruckt. Es ist ein großer Fehler, daß dies bei der deutschen Ausgabe nicht gemacht wurde. In Deutschland steckt die Arbeit noch in den Kinderschuhen, aber es gibt einige Kontaktadressen.

Steven Hassan: Ausbruch aus dem Bann der Sekten, Rowohlt-Verlag, Reinbek 1993, 19,90 Mark

Kontakt: Initiative besorgter Eltern und Bürger Eppendorf e.V., c/o Kulturhaus Eppendorf, Martinistr. 40, Tel. 481548, Mo, Di, Do, 15-20 Uhr, Fr. 15-17 Uhr