Puschenkino-Dramaturgie

■ „Die Insel der alten Männer“: Ein Comic-Krimi von Jens Jeddeloh und Hermann Stange

Ein Comic wie ein „Tatort“. Denn es gibt Tote, Verdächtige, falsche Spuren und einen Kommissar: Auf einer Nordsee-Insel wird eine alte Kriegsschuld wieder aufgewärmt und führt zu neuen Verbrechen. Norddeutsch an diesem neuen Comic ist nicht nur der Ort des Verbrechens. Auch die Urheber selbst kommen aus dieser Gegend: Der Oldenburger Jens Jeddeloh zeichnete Die Insel der alten Männer, so der Titel des Comics. Den Text schrieb der Journalist Hermann Stange aus St.Peter-Ording.

Doch der im Hamburger Carlsen- Verlag erschienene Comic läßt sich nicht nur wegen der Story mit der Krimi-Reihe im Ersten Programm vergleichen. Auch die Figuren des naturalistisch gezeichneten Krimis entsprechen den Fernseh-Stereotypen. Der Held der Insel der alten Männer ist ein unpolitischer Sympath, der Kommissar unauffällig und beharrlich, der Fischer knarzig und die Frau - eine muß man liebestechnisch in die Story einflechten - hat natürlich keinen Beruf, dafür aber pralle Brüste.

Raten Sie weiter, wie das Wetter ist: Richtig! An der Küste ist es dauernd windig. Zu dieser Ballung von Klischees gesellt sich die gleichfalls „Tatort“-typische Un-Logik der Handlungen. So bleibt der junge Held am Leben, obwohl jeder normale Mörder ihn schon dreimal umgebracht hätte. Richtig störend wird es, wenn einzelne Bilder sich inhaltlich überhaupt nicht erschließen wollen, und es sieht so aus, als sei das Comic-Drehbuch an manchen Stellen gekürzt worden, ohne die entsprechenden Anschlüsse zu korrigieren.

Ebenfalls reif fürs deutsche Fernsehen zeigt sich die zeichnerische Regie. Die Bildsprache ist abgenutzt, die Einstellungen sind allzu bekannt und folgen dem allgemeinen Dramaturgie-Schema von Schuß-Gegenschuß, Close-Up versus Totale, Aufzieher und Ranfahrt. Dabei ist das Medium Comic geradezu prädestiniert für ungewöhnliche Blickwinkel und unglaubliche Sehweisen.

Das Einzige, wodurch sich Die Insel der alten Männer von einem richtigen, trutschigen Sonntagabend-„Tatort“ unterscheidet, ist die Besetzung. Denn der sympathische Held schaut nur eine Nuance markiger aus als sein Zeichner, während der Kommissar arg dem Texter dieses Comics ähnelt. Doch ein Kameramann in der Hauptrolle und der Drehbuchautor als neuer Manfred Krug - das würde selbst in der ARD nie passieren.

Annette Bolz

Jens Jeddeloh, Hermann Stange: „Die Insel der alten Männer“, erschienen im Carlsen Verlag, Hamburg, 1993, 48 Seiten, 16,90 Mark.