Berlin-Besuch als geheime Mission

■ IOC-Präsident fünf Stunden lang in der Stadt / Strenge Sicherheitsvorkehrungen / Kritische Presse nicht eingeladen

IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch ist gestern von der Stuttgarter Leichtathletik-Weltmeisterschaft zu einem fünfstündigen Besuch nach Berlin geflogen. Die geheimgehaltene Visite wurde erst am Vormittag bekannt. Ein Protokoll des Tages:

11 Uhr: In der taz geht ein Hinweis ein, wonach der IOC-Chef um 11.40 Uhr auf dem Flughafen Tegel landet.

11.40 Uhr: In der Empfangshalle des Flughafens Tegel sind weder der IOC-Chef noch Vertreter der Olympia GmbH zu sehen, dafür etwa 30 Olympiagegner, die vor der Empfangshalle ein 10 Meter langes Transparent „Berlin NOlympic City“ aufspannen. Samaranch selbst wird vom Chef der Olympia GmbH, Axel Nawrocki, und dem Vorsitzenden des Nationalen Olympischen Komitees, Walther Tröger, auf dem Rollfeld abgefangen und in einen Hubschrauber verfrachtet. Nach dem Flug zum Olympiastadion geht es mit einer Wagenkolonne zum Schloß Charlottenburg.

13 Uhr: Die Olympia GmbH teilt der taz auf Anfrage mit, daß eine Akkreditierung für die auf den Nachmittag angesetzte Pressekonferenz mit Diepgen, Stolpe und Samaranch im Schloß Charlottenburg nicht mehr möglich sei. Das Kontingent, so hieß es, sei „erschöpft“. Zum Modus der offenbar handverlesenen Einladungen wollte die Pressestelle der Berufs- Olympioniken in der Breiten Straße keine Auskunft geben.

14.15 Uhr: Das Gelände um Berlins prunkvollstes Schlößchen ist weiträumig abgesperrt. Die Polizei kontrolliert mit Hilfe einer Mitarbeiterin der Olympia GmbH die zulässigen und unzulässigen Medienvertreter. „Die taz“, flüsterte einer der Beamten dem andern zu, sei hier nicht zugelassen. Nach Protesten sowohl bei der Polizei als auch bei den eintreffenden Medienvertretern hält die Polizei Rücksprache mit dem Pressesprecher der Olympia GmbH, Christian Fürstenwerth. Das Ergebnis ist das gleiche: keine taz. Auch einem „Tagesschau“-Team des SFB wird der Eintritt verwehrt. Begründung: Der SFB sei mit seiner Sportredaktion hinreichend abgedeckt. Auf der Einladungsliste stehen unter anderem Die Welt, Tagesspiegel, Morgenpost, BZ, Bild- Zeitung, Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau.

14.30 Uhr: Der Unmut vieler Medienvertreter macht sich in zahlreichen Interviews untereinander Luft. So berichtet der „Tagesschau“-Redakteur vom bekannt pro-olympischen Standpunkt der SFB-Sportredaktion.

14.52 Uhr: Die „alternative“ Pressekonferenz vor dem Polizeikordon verfehlte ihre Wirkung nicht. Olympia-Sprecher Fürstenwerth kann vier zusätzliche Plätze anbieten. Fürstenwerth: „Die taz ist dabei.“

15.10 Uhr: Im Gartensaal des Schlosses warten Journalisten und Sicherheitsbeamte auf den Auftritt des IOC-Chefs. Im Vorraum wartet auch Polizeipräsident Hagen Saberschinsky, der das Ausmaß der Sicherheitsvorkehrungen herunterredet: „Das ist doch ein relativ geringer Polizeieinsatz.“ Ganz leise sind durch die offenen Türen die Trillerpfeifen der Demonstranten von jenseits der polizeilichen Absperrungen zu hören.

15.34 Uhr: Ein Pulk blau- und graugekleideter Herren schiebt sich durch die Flügeltüren: Samaranch, Diepgen, die Ministerpräsidenten Stolpe und Seite sowie die Herren vom NOK nehmen Platz. Nach dem offiziellen Gruß Diepgens kommt der Spanier in schwer verständlichem Englisch seiner Neutralitätspflicht als IOC-Präsident nach. Sein Besuch in Berlin sei nicht nur eine Pflicht, sondern ein Vergnügen – das gelte aber für alle Bewerberstädte. Auch auf Völkerpsychologie versteht sich Samaranch: „When you Germans want something normally you get it.“ Auf die Frage, wer die Geheimhaltung seines Besuchs veranlaßt habe, äußert er sich ausweichend: „It was known“, meint er zu den Journalisten, die nur seit vier Stunden von seiner Visite wissen. Begründung: „You were here.“

15.49 Uhr: Der Pulk schiebt sich wieder aus dem Saal. Die Olympiamacher diktieren den Journalisten noch schnell ein paar Eindrücke in den Block. NOK-Chef Walther Tröger erzählt, daß Samaranch in keinem Punkt der Darstellung insistiert habe, und spricht von einem „guten Eindruck“. Als Pluspunkte Berlins nennt er auch Atmosphäre. Wie hat Samaranch die vom Hubschrauber aus wahrnehmen können? Tröger: „Ich meine die Atmosphäre des Konzepts.“

15.58 Uhr: Im Schloßhof besteigen die Herren die schweren Limousinen. Eine Kolonne mit 19 Wagen rast durchs schmiedeeiserne Tor.

16 Uhr: Jenseits der Polizeikette hält ein Häufchen von kaum zwei Dutzend Olympiagegnern das „NOlympic-City“-Transparent hoch. Ein junger Mann wird abgeführt. „Wegen Beleidigung, ich habe Samaranch ,Altfaschist‘ zugerufen“, sagt er über die Schulter. Eine Polizeibeamtin drängt den Frager ab: „Dem Mann ist die Freiheit entzogen.“ Samaranch ist längst auf dem Weg zum Flughafen. Nach fünf Stunden Berlin soll dort um 17 Uhr seine Linienmaschine nach Stuttgart abheben. wera/mon