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■ Press-SchlagHeike II, die Nummer eins

„Warum fällt die Mama immer hin?“ In Jena verfolgt Toni (4) am Fernsehapparat, wie Heike Drechsler in Stuttgart in den Sandkasten springt: 7,11 Meter weit. Und dann freut er sich, daß die Mama wieder auf die Beine kommt, die Hände hochreißt, strahlt, getragen wird von einem Publikum in Ekstase: „Heike! Heike! Heike!“ Die Schwaben sind völlig aus dem Häusle. Heike Drechsler schreibt Autogramme, noch bevor der Wettbewerb zu Ende ist: Weltmeisterin 1993.

1983 machte Heike Daute in Helsinki bei der ersten WM ebenfalls den weitesten Satz von allen: 7,27 Meter. Zehn Jahre ist's her, und die damals jüngste Weltmeisterin springt heute als 28jährige immer noch der Weltelite davon. Die Welt hat sich geändert, ihr Lebensumfeld kaum. Bei Drechslers ging sie schon mit 14 ein und aus. Ehemann Andreas war ihre Sandkastenliebe.

Die Familie ist Refugium und Basis ihres Erfolges. Seit Jahren. „Die Heike ist gar nicht gern auf Achse“, weiß die Schwiegermama, die daheim auf Enkel Toni aufpaßt, wenn das prominente Kind samt Schwiegerpapa in der großen, weiten Welt Geld verdienen geht. Heike ist fleißig. Sie tingelt von einem Sportfest zum anderen. Aber verdient längst nicht so viel wie Heike Henkel. Die Überfliegerin ist für Sponsoren und Medien die Nummer eins. Heike II erhält pro Meeting zwischen 15.000 und 25.000 Mark, Heike I etwa 15.000 Mark mehr.

Heike Drechsler hat sich vor allem kurz nach dem Mauerfall schwer getan: So schön sie auch lachen kann, sie ist keine Susen Tiedtke, die die Kunst des Augenaufschlages beherrscht, in Stuttgart im Vorkampf aber mit 6,54 m scheiterte. Heike Drechsler ist eine der wenigen erfolgreichen Ost-AthletInnen, die im Osten geblieben sind. Lukrative Angebote aus Leverkusen hat sie ausgeschlagen, lange sich ohne Manager durchgewurschtelt und anfangs Symptome der ost-spezifischen Minderwertigkeitskomplexe gezeigt: „Ich wußte nicht einmal, was man bei so einer Pressekonferenz anzieht.“

Heute wirkt sie bemüht- locker, immer noch ein bißchen spröde, vorsichtig. Der Grund: Sie fürchtet, man wolle ihr Böses. Die Vergangenheit läßt sie noch nicht los. Brigitte Berendonk hat auch den Publikumsliebling als Schluckspecht von Oralturinalbol in den Jahren 1981 bis 1984 entlarvt. Drechslers Kommentar: „Kein Kommentar“. Geschickt zogen ihre Anwälte den für vergangenen Donnerstag angesetzten Prozeß Berendonk/ Drechsler in Heidelberg in die Länge, um die Siegesfeier nicht zu belasten. Nächster Termin: im November. 15mal wurde die Weltmeisterin in diesem Jahr zur Urinprobe gebeten. 15mal sauber. Selbst Brigitte Berendonk bedauert: „Heike Drechslers genetische Anlage ist so groß, daß sie anabole Unterstützung schon damals gar nicht nötig gehabt hätte.“ coh

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