piwik no script img

■ StandbildSchimpf und Schande

„Einladung zu Schimpf“, 14.8., 20.15 Uhr, ARD

Seit ich Björn Hergens Show gesehen habe, hat sich mein Leben verändert. Auf der Straße bewege ich mich seither unnatürlich, beim Einkaufen spreche ich keinen Verkäufer mehr an, auch beim U-Bahn fahren könnte ja jeder zusteigende Zivilist jemand mit der versteckten Schimpf-Kamera sein. Selbst in meiner Wohnung fühle ich mich nur noch selten unbeobachtet: „Big Schimpf“-Brother is watching you.

Das in „Einladung zu Schimpf“ durch Observation zum TV-Delinquenten auserkorene Opfer wird einem Schock ausgesetzt. Egal wie „harmlos“ die jeweiligen Situationen sind, es handelt sich in jedem Fall um einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre. Und die dumpfe Freude der Zuschauer darüber steigert noch einmal die Gewalt, mit der die Kamera die Privatsphäre der Auserkorenen aufreißt.

Schimpfs Medienshow, eine Weiterentwicklung von „Versteckte Kamera“, arbeitet mit dem Prinzip der Schadenfreude. Abgesehen davon, daß die zelebrierten Späße infantil sind, ist das Ätzende daran, daß die Tele- Opfer durch ihre Überraschung eine Art Zwangsarbeit ableisten. Und die kommt dem Fernsehen zugute. Um so schöner, wenn am Rande die Verärgerung über diesen gemeinen Mißbrauch sich Ausdruck verschafft: Während sich die eine der beiden „Salatdozentinnen“ einen Moment lang unbeobachtet wähnte, zeigte ihre überaus mißmutige Miene in der Nahaufname an, was sie von dieser fiesen Veranstaltung tatsächlich hielt.

Offen wird hier seine Empörung niemand zugeben. Die Autorität des Fernsehens duldet keine Spielverderber. Die Würde des Menschen wird angetastet von dieser perfiden Ausbeutung der Intimität. „Einladung zu Schimpf“ – die öffentlich-rechtliche Variante zum Reality-TV.

Interessant wird das Ganze erst wieder vom Standpunkt des Guerilla-Zuschauers, der antizipiert, daß er beobachtet wird. In dem Moment, da Tele-Tyrann Schimpf zur rituellen Enttarnung schreitet, könnte man als Gegenenttarnung beispielsweise live ein Transparent entrollen: Freiheit für die Gefangenen der Rote Armee Fraktion. Oder man könnte das geheime GSG-9-Musikvideo einspielen, in dem gezeigt wird, wie Grams ermordet wurde. Und dann könnte man den Kanzler fragen: Verstehen Sie Spaß? Manfred Riepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen