■ Illustre Illustrierte (12)
: Unter Hellsehern

Am Sonntag hatte ich wieder diesen merkwürdigen Traum: Kurz nach 10 Uhr klingelte das Telefon, dran war die taz-Medienredaktion, die wissen wollte, wo ich denn mit meinem Illustrierten-Artikel bleibe. Was noch merkwürdiger war: Am Montag rief sie tatsächlich an, kurz nach 10 Uhr, und fragte entnervt nach dem Text.

„Zukunftsschock“ nennt man solch ein hellseherisches Traumerlebnis, entnahm ich der wöchentlichen Illustrierten Rätselhafte Phänomene. Und daß ich als schlafender Dr. Allwissend nicht allein auf der Welt bin – unglaublich viele weitere Befähigte zur „Präkognition“ listet die Zeitschrift auf. Unsere gemeinsamen Zukunftsvisionen „legen nahe, daß unser Leben von vornherein festgelegt ist“, schlußfolgert das Heft. Das kann ich nur bestätigen: Freie Autoren sind Redakteuren restlos ausgeliefert.

Vielleicht sind Medienmenschen als Medium sogar besonders gut geeignet. In der aktuellen Ausgabe geht es auch um Fotografen, die auf ihren Abzügen Gestalten entdeckten, die beim Knipsen gar nicht da waren. Da fotografierte etwa der sechzehnjährige Gordon Carroll ganz schamlos in der verlassenen Kirche, und auf dem fertigen Dia betete ein Kuttenmönch vor dem Altar. Statt nun den verunsicherten Jungfotografen über die ungewissen Bildrechte im Falle einer Veröffentlichung aufzuklären, leitet der Text gleich zum nächsten Geisterfotografen über. Aber genau das ist es, was die Lektüre von Rätselhafte Phänomene so angenehm macht: der Grundtenor, den Lesern nicht alles erläutern zu wollen.

Vielleicht, so kam mir beim Lesen in den Sinn, bin ja auch ich befähigt, Geister mit meiner alten Pocket-Kamera festzuhalten, schließlich hat mich bereits der Zukunftsschock ereilt. Gleich beim nächsten Besuch in der taz werde ich die Medienredakteurin hinter ihrem Schreibtisch knipsen und mit dem Abzug dann den endgültigen Beweis liefern, daß Georgia Tornow noch immer durch die Kochstraße spukt. Micha Schulze