Gemälde von Derek Jarman im Filmmuseum Potsdam

Begleitet von einer Retrospektive seiner Filme, zeigt das Filmmuseum in Potsdam die jüngsten Gemälde von Derek Jarman. Woran Jarman sich versucht, ist ein politisch geladenes, „wildes“ Informel. Seine gut mannshohen Hochformate sind blutigrot und seeblau, eifernd gelb und marode grün, die Farbe kiloweise aufgebracht, mit Pinsel und Hand, und in die Farbe sind Worte gekratzt. Jarmans Bezug ist die Kampagne der englischen yellow press gegen Schwule, Bisexuelle und Transvestiten, wie sie seit der Ära Thatcher eine schwer diskriminierende Gesetzgebung völkisch begleitet, ständig mit Futter versehen durch das Dauerthema Aids. Eine Krankheit, die nach der Auffassung von Sun und News of The World von sexgierigen Mördern auf unschuldige Opfer heimtückisch übertragen wird. Die Aufmacherseiten dieser Zeitungen hat Jarman, in der Tradition der Kunst des Populären, der Pop- art, dreißigfach auf seine Leinwände geklebt, übermalt, und in das Übermalte geschrieben. Wie auch in seinen letzten Filmen einerseits euphorisch getrieben, andererseits hemmungslos auf der Seite der Opfer, geht Jarman auch hier in die vollen, wenn er allwissend auftrumpft: „40 % der britischen Frauen/ Lassen es sich in den Arsch machen“ und in seltsam suizidaler Identifikation zufügt: „Ihr nennt es Mord/ Aber ich nenne es Liebe/ Verbreitet die Plage“. Liebe, nun – es ist Kunst, und wie jede Kunst arbeitet auch Jarmans Gemäldezyklus „Queer“ mit produktiver Verblendung. Wer sich als Sterbenden stilisiert, ist gewissermaßen frei von Stilfragen. Unter dem Paradigma durchgeknallter Betroffenheit faßt Jarman Art brut, Spuren des abstrakten Expressionismus, Pop und Schülerwut zu einem eigenartigen, formal durchaus kontrollierten Ganzen. Eine der stärksten Arbeiten ist gerade nicht Aids-bezogen: „OH ZONE“. In der oberen Hälfte des quadratischen Bildes haben sich de Kooningsche kreuzende Bahnen zu einem Geflecht zusammengezogen, das wie ein Himmel über der darunterliegenden, glattblauen Fläche (à la Hockney) lastet. Darin steht in weißen Versalien das Wort, eine gestöhnte Variante von „ozone“ (Ozon). Das Sentiment des Betrachters wird über frühe religiöse Gesänge, die über eine im Saal aufgebaute CD-Anlage gestreut werden, vielleicht über das Maß des Notwendigen strapaziert. Zudem werden Bilder, die verkauft sind, mit roten Punkten markiert: Wie bei der katastrophalen Peter-Max-„Retrospektive“ in Berlin-Mitte werden auch in Potsdam die Grenzen zwischen Museums- und Verkaufausstellung verwischt. Was die Wirkung der Präsentation per se relativiert.uez

Derek Jarman: „Sick“, Öl auf Fotokopie auf Leinwand, 1992, 251,5 x 179 cm (Abb.: Katalog „Queer“, hg. von Martin Baier)