„Wie kann man die erlauben?“

■ Yehudi Menuhin über Rassisten und Neonazis in Hamburg

Yehudi Menuhin wandte sich spontan an die Presse: Der vornehme alte Mann sprach gestern im Atlantic Hotel nicht über Musik. Der weltberühmte Geiger und Dirigent redete diesmal über Poltik. Grund für die Konferenz waren die Plakate der Hamburger DVU, die dem 77jährigen während seines Hamburg-Aufenthaltes aufgefallen waren: „Wie kann man diese Parteien, deren Gedanken nur aus Vorurteilen bestehen, erlauben?“, fragte Menuhin die Journalisten.

In nahezu akzentfreiem Deutsch gab der mit dem Titel Lord geehrte jüdische Musiker und Dirigent selbst die Antwort: „Es ist eine falsche Anwendung der Demokratie, wenn man solche ausländerfeindlichen Parteien erlaubt“. Brutal und rassistisch sind die Parolen in der Tat, mit denen die DVU auch in diesem Wahlkampf um Stimmen wirbt: „Wählt deutsch“ oder „Scheinasylanten raus“ steht auf ihren Plakaten.

Diese Menschen, die gegen Ausländer sprechen, seien immer gewalttätig und wendeten sich auch gegen die eigenen Leute, so Menuhin. Was während der Nazi-Zeit mit den Juden geschah, könne jedem Volk widerfahren.

Yehudi Menuhin, 1917 als Sohn russischer Emigranten in New York geboren, war mit dreizehn Jahren zum ersten Mal in Hamburg. In diesem Alter debütierte der geniale Musiker, der zuhause nicht nur geigen, sondern sich auch in allen Sprachen, die er lernen sollte, mit seinen Eltern unterhalten mußte, als Violinist in den großen Städten der Welt. Menuhin, mittelweile Ehendoktor von 20 Universitäten und Dirigent unter anderem des Londoner Royal Philharmonic Orchestra, hatte am Montag in Flensburg die Uraufführung der „Holocaust memorial cantata“ der polnischen Komponisten Marta Ptaszynska dirigiert.

Die rechten Parteien in Deutschland, Frankreich oder England verurteilte der sonst eher zurückhaltende Geiger scharf: „Das sind keine Parteien, daß ist eine Zumutung. Wenn die drankommen, müssen Millionen für diese Idioten sterben“. Der kleine, feingliedrige Mann, dessen Volk unter dem deutschen Nazi-Regime fast ausgemerzt worden ist, wirkte jedoch nicht verbittert oder vorwurfsvoll: „Ich liebe den Hafen in Hamburg“, lächelte er, um ohne Vorwurf in der Stimme fortzufahren: „Die Deutschen haben sich seit dem Krieg am besten von allen anderen Völkern benommen. Jetzt müssen sie Verantwortung für die Freiheit übernehmen, damit es kein Zurück in die Nazi-Zeit gibt“.

Er sei nicht für Frieden und Toleranz um jeden Preis: „Wir benützen Frieden, um Kriege vorzubereiten“, meinte Mehudin und formulierte mit feinsinniger Strenge Alternativen: „Diese rechtsradikalen Menschen sind wie Kinder, die Tiere quälen. Sie brauchen die strafende Liebe von Menschen, die sie respektieren“. Katrin Wienefeld