Aber wer zahlt uns das Risiko?

■ Wie Theatermacher aus der halben Republik mit Anmut über die Zukunft des Theaters debattierten, und gottlob ohne Ergebnis

Die bewegendste Vorstellung seit langem. „Risiko!“ brüllte am Ende nach all dem Barmen betreffs Mittelknappheit und Sinnenleere von hinten einer drein; es war der Kriminalschriftsteller Alberts, ein stadtbekannter Donnerer. „Mut! Risiko!“ brüllte er und forderte, 40 Tage lang den dicken Kentrup als Hungerkünstler auf offener Bühne in einen Käfig zu sperren. Er persönlich ginge dann wieder jeden Tag ins Theater! Wagnis! Abenteurertum! „Aber wer zahlt uns die Gehälter, daß wir ein Risiko auch eingehen können?“ frug da furchtsam Carsten Werner vom Jungen Theater, und schon gluckste die Menge vor Behagen, weil er alles so köstlich falsch verstanden hatte.

Ein aufwühlend wirrer, ein herzergreifend ratloser Abend, und gottlob von keinem Ergebnis beschattet. Wie um zu beweisen, daß das Theater nur als Unmöglichkeit ein Leben hat und fortbesteht, hatte das „Junge Theater“ am Montag Männer der Bühne aus der halben Republik in die Friesenstraße geladen und zusammengepfercht: beispielsweise den alten Reformator Roberto Ciulli vom Mülheimer Theater an der Ruhr, der schon vor vierzehn Jahren aus dem Verhau der sieben Tarifverträge ausgestiegen ist und seither sein Haus nach einheitlichen Regeln leitet; Hartmut Henne vom Berliner „Theater am Halleschen Ufer“, Michael Batz von der Hamburgischen Kampnagelfabrik, Norbert Kentrup von der „shakespeare company“, dazu die Kultursenatorin Trüpel; und ringsum hockte drei Stunden lang jede Menge Publikum mit hungrigen Augen.

„Wo blüht das Theater?“ — so lautete programmatisch die Frage. Es blühte an diesem Abend jedenfalls in der Friesenstraße, zumal der moderierende Journalist Michael Laages auf jegliche Regiearbeit verzichtete. So durften die Charaktere sehr malerisch auf der Szene herumkarambolieren.

Mehr Gastspiele, weniger Bühnenbild, mehr Mobilität, ein Stadttheater des leichten Gepäcks quasi, eventuell ein rettender Konkurs, weniger Kohle für die Stars, alle Achtung für die Schauspieler als solche, ihre Lust und ihre Sehnsucht sowieso, weniger Apparat, einen einheitlichen Tarifvertrag, Ausländer rein, z.B. einmal im Monat mit türkischem Theater — jeder Vorschlag kam dran, erstrahlte und verpuffte schnuppengleich. Nicht einmal die Kultursenatorin Trüpel wußte was bleibend Neues, obwohl der Feuerkopf Ciulli mit all seinem zauberhaften Akzent auf sie einschrie: „Sie! Sie! Sie! Sie solle sagen, was sie wille von Theater! Dann wirde gemachte!“

Tja, wo denn jetzt also, nach Heymes Flucht, der „Befreiungsschlag“ bliebe, schloß sich der Moderator Laages piu sforzato an. Die Senatorin hingegen beharrte auf ihrem Plan, jetzt erst einmal und umso schleuniger einen neuen Intendanten zu finden, sonstige Veränderungen aber bloß „intern“ bzw. „unter Absprache“ vorzunehmen.

Das wiederum erzürnte den Jochen Biganzoli vom Bremer Theater, welcher eine offene Debatte, wie sie hier stattfand, viel lieber an seinem Hause abgefakkelt sähe. Im übrigen wittere er doch, daß insgeheim schon wieder nach einem Typ vom Kaliber des Heyme gesucht werde!

Die Rolle des wehsam mürrischen Altjugendlichen fiel dem Kampnagel-Batz zu: Er habe diese Jammerei satt, sagte er; nein, er habe nicht Lust noch Zeit dazu, sondern riesenhaft leere Hallen zu füllen, fünf an der Zahl, 1.700 Plätze, man bedenke. Der Kollege aus Berlin wiederum, Leiter einer neuen Spielstätte eigens für die freie Szene, beklagte, daß er in ganz Berlin, von Zuschauern abgesehen, nicht einmal mehr freie Projekte finde, die aufzuführen sich lohnte. „Dann mach doch den Laden zu und nerv' hier nicht rum!“ schimpfte hierauf maßlos erregt Reinhold Schäfer vom hiesigen Freiraum-Theater.

Klar war immerhin, daß auch von den freien Gruppen keine Rettung kommen würde, auch wenn das Stadttheater vor lauter Sinnarmut nicht mehr ein noch aus weiß und Ciulli es schon für großteils tot hält. Von Frust sprach Biganzoli, von künstlerischem Potential, welches im Bremer Fall brachliege; sei es nun der alte Sünder Heyme gewesen, der „das ganze Theaterklima versaut“ habe (Carsten Werner) - oder sonstwer.

Allein das Publikum blieb unerschütterlich dem Schauspiel treu, es lauschte, nörgelte, lachte, gab hie und da Senf hinzu und konnte nicht genug kriegen von diesem Theater in all seiner Unsterblichkeit. Manfred Dworschak