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Affäre von puritanischer Einbildungskraft

Weltgewandte Exzentrikerin dressiert pensionierten General – George Meredith ist wiederzuentdecken  ■ Von Jörg Lau

George Merediths Ruhm erreichte seinen Höhepunkt im England der Jahrhundertwende, als er schon fast siebzig war; er hat ihn noch bis zum Jahre 1909 auskosten können. In den späten zwanziger Jahren, als seinen zahlreichen Romanen mit dem viktorianischen Bürgertum das angestammte Publikum abhanden kam, war es dann an der Zeit, Merediths Erfolg einzuordnen. Seine Figuren, meinte böswillig E.M. Forster, wirkten allzuoft, als wären sie gerade erst aus den Requisitekisten ausgepackt und an ihre Plätze gestellt worden, bevor die Handlung einsetzt, das Haar noch voller Stroh vom Transport. In einem Punkt zeigte sich Forster aber beeindruckt: er nannte Meredith den geschicktesten Knüpfer von Plots in der englischen Romanliteratur.

Die Novelle „General Ople und Lady Camper“, die etwas mehr als hundert Jahre nach ihrem ersten Erscheinen nun auch – dank Joachim Kalka – in einer wunderbaren deutschen Fassung vorliegt, bestätigt beide Seiten von Forsters Urteil: Flache Charaktere werden in eine Handlung verstrickt, deren überraschende Umbrüche flugs das Ungenügen am Personal vergessen machen. Vielleicht sollte man es noch anders sagen: Meredith weiß so gut, worauf er mit seiner Belegschaft hinaus will, daß er sich und uns deren Abrundung zu vollen Charakteren ersparen kann. Die Psychologie läßt er ganz und gar in seinem pointiertem Sprachwitz aufgehen. So sehen wir zu Beginn etwa den Protagonisten, General Wilson Ople, auf der Suche nach einem Haus, in dem er seinen vorzeitigen Ruhestand verbringen will, an einem Ort ankommen, „wo er beschloß, nicht nur seine Gefühle zu verströmen, sondern sich für den Rest seines Lebens niederzulassen. Die Immobilie, auf welche er stieß, läßt sich nur in der Sprache der Maklerbüros beschreiben, und in der ersten Woche, nachdem er sie übernommen hatte, folgte er bescheiden diesem Beispiel und nannte sie ,bijou‘.“

Dieser ein wenig stapfig auftretende Mann, der sich aus Unlust an der ihm drohenden Karriere und der damit verbundenen Verantwortung aus dem Militär zurückgezogen hat, trifft nun auf eine Herausforderung, gegen welche die Ereignisse seiner Soldatenlaufbahn Kinderspielchen waren: seine Nachbarin Lady Camper, eine welterfahrene Dame, von der es heißt, sie sei „exzentrisch“. Und tatsächlich: sie verletzt die Einladungssitten der ländlichen Gesellschaft, meidet den Gottesdienst, zeichnet, aquarelliert und karikiert, und sie verwahrt, wie man hört, ein Paar Pistolen auf ihrem Sekretär im Salon. Bald ist der General von dieser Frau entflammt, und zwar um so mehr, je abweisender sie ihn behandelt. Zuerst tagträumt unser nicht sehr wortgewandter Held noch, daß er sich womöglich durch einen glücklichen Unfall, eine mit männlicher Entschlossenheit abzuwendende Gefahr bei der unnahbaren Frau wird in Szene setzen können. Es warten aber derweil schon andere Prüfungen auf ihn, die hier nicht enthüllt werden dürfen. Sie sind jedenfalls stark genug, um ihm zunächst seinen kargen Rest an Beredsamkeit zu rauben und ihn dann, in einer weiteren, ziemlich kühnen Volte, sogar so weit zu bringen, daß er in bester Gesellschaft Selbstgespräche führt.

Seine Prüfungen nehmen den armen Mann zeitweilig so sehr in Anspruch, daß er aus lauter Blindheit sogar das Glück seiner Tochter aufs Spiel setzt, die sich unterdessen in Lady Campers Neffen verliebt hat. Mit schönem Sarkasmus schildert Meredith, wie dem General das Liebesleiden der jungen Leute erst dann richtig zu Bewußtsein kommt, als er dem jungen Offizier „einen Morgenbesuch in seinem Quartier abstattete, wo es ihn schmerzlich berührte, den Herrn bei einem sehr späten Frühstück vorzufinden, bei welchem er Eier aufklopfte, die er dann zu öffnen vergaß – eines der sichersten Zeichen, daß ein junger Mann wahrhaft und tief verliebt ist, wie der General aus eigener Erfahrung wußte –, und umgeben von den unaufgeschnittenen Sportzeitungen der letzten Wochen, die seit jenem Tage datierten, da ihn der Schicksalsschlag getroffen hatte, so präzise, wie die Uhr des Ertrinkenden die fatale Minute zeigt.“

Meredith, so viel sei den LeserInnen, die ihn durch dieses schmale Buch kennenlernen wollen, zur Warnung mit auf den Weg gegeben, macht solche Versteinerungen nicht im Namen eines romantischen Liebesideals, im Namen von stärkeren Wallungswerten lächerlich. Seine Vorstellungen darüber, warum ein einfacher Mann und eine komplex angelegte Frau wie General Ople und Lady Camper zusammenkommen sollen, stehen in der puritanischen Tradition des Ausgleichs, der Beständigkeit und Selbstkontrolle, von der sich unsere Sprache der Liebe um Lichtjahre enfernt hat. Und noch ein letztes: die exzentrische Lady Camper ist zwar nicht vom Format jener grausam-anziehenden belles dames sans merci, auf die sich merkwürdigerweise gerade die puritanische Einbildungskraft so gut verstand, aber sie ist doch von erstaunlicher Ambivalenz – Klugheit und Witz lassen sie furchterregend und unwiderstehlich zugleich erscheinen.

George Meredith: „General Ople und Lady Camper“. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Steidl Verlag, 119 Seiten, 28 DM

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